Text der Predigt zum Sonntag Rogate am 17. Mai

19.05.2020

Matthäus 6, 5-15

5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.
7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.
8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.
10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
11 Unser tägliches Brot gib uns heute.
12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.
15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Liebe Gemeinde,

das ist ein wahrlich langer Predigttext mit unglaublich viel Inhalt. Und man könnte eigentlich 10 Predigten darüber halten, schon allein über das Vaterunser, das Jesus uns als Mustergebet geschenkt hat. Ich muss mich also in meinen Gedanken beschränken und will in drei Punkten dem nachspüren, was Jesus wichtig ist für unser Beten:

1. dass wir gottesbewusst beten,
2. dass wir erhörungsgewiss beten,
3. dass wir veränderungsbereit beten

1. Gottesbewusst beten

Ich lese noch einmal den Vers 5:
Jesus sagt:  Wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen.  
Was Jesus hier schildert, scheint damals immer wieder vorgekommen zu sein. Für Juden war es so üblich gewesen, dass man dreimal am Tag betete. Das war an sich eine gute Sache. Aber manche legten großen Wert darauf, dass das auch die anderen sahen, wie konsequent fromm sie sind. Und so stellten  sie sich bewusst in der Öffentlichkeit hin mit ihren sichtbaren Gebetsgesten. Und genau das kritisierte Jesus. Er lobte es nicht als ein tolles missionarisches Bekenntnis, was sie da in der Öffentlichkeit veranstalteten, sondern er machte klar, dass solch ein schaustellerisches Gebet sich gar nicht wirklich an Gott richtet, sondern eigentlich nur an die Menschen, denen man imponieren will. So ein Gebet ist nicht gottesbewusst, sondern menschenbewusst. Man betet in erster Linie vor dem Forum der Menschen und nicht in der Gegenwart Gottes.

Und das ist in frommen Kreisen bis heute eine Versuchung. Es ist eine gute Sache, dass wir in unserer Gemeinde gerne und viel in Gemeinschaft beten. Doch erfordert das auch Disziplin und vor allem die Bereitschaft zur Selbstkorrektur. Wir müssen merken, wann wir beginnen, unsere Gebete eigentlich mehr zu den anderen zu sprechen, anstatt sie an Gott als unseren Herzensadressaten zu richten.
Dann sagt Jesus: Lohn gehabt. Damit ist gemeint, dass so ein menschenbewusstes Gebet vor Gott leider vergeblich ist, weil es zwar den anderen etwas mitteilt, aber an Gott vorbeiredet.

Als Pastor stehe ich hier am meisten in dieser Gefahr. Ich bete bei so vielen öffentlichen Gelegenheiten und vor allem auch in Gottesdiensten. Und dabei bete ich laut vor der Gemeinde. Und dennoch will ich diese Gebetsworte nicht wie eine Predigt zur Gemeinde sprechen, sondern mein Anliegen ist es, dass ich dabei gewissermaßen die Gemeinde an die Hand nehme und meine Worte für sie vor Gott ausspreche. Jahrelang fiel mir das wirklich schwer, öffentlich zu beten, weil ich spürte, dass ich dabei mit meinen Gedanken so schnell mehr bei den Menschen war als bei Gott. Darum habe ich mir angewöhnt, mich bei meinen Gebeten gedanklich bewusst  in die Reihen der Gemeinde zu stellen. Ich will nicht hier vorne als Gegenüber der Gemeinde beten, sondern als einer von euch, der für euch das Wort ergreift.

Dennoch bleibt es dabei: Alle, die öffentlich beten, stehen immer in der Gefahr, dass sie mehr menschenbewusst als gottesbewusst beten.
Und darum zeigt uns Jesus, dass das Herz des Gebets nicht in der Öffentlichkeit und in der Gemeinschaft schlägt, sondern im stillen Kämmerlein. Dort ist niemand, vor dessen Augen und Ohren ich irgendetwas Gestelztes formulieren muss. Hier genügen die schlichtesten Worte wie: Gott, hier bin. Nur das. Ja, manchmal brauchen wir in der Stille gar nicht einmal Worte zu machen, sondern Gott einfach nur unser Herz hinhalten: "Du siehst doch, was da drin ist. Du siehst selbst ins Verborgene. Danke, dass ich mit dem allen jetzt in deiner liebenden Gegenwart sein darf."

Die Worte unserer persönlichen Gebete sind, glaube ich, gar nicht so wichtig, das Wichtigste ist zunächst einmal unsere innere Haltung und unsere bewusste Hinwendung zu Gott. Gottesbewusst zu beten bedeutet, dass der erste Schritt des Gebetes darin besteht, dass wir unser Bewusstsein für die Gegenwart Gottes öffnen.
Natürlich gibt es auch diese Notgebete oder die Zwischendurchgebete: "Herr, hilf mir jetzt, dass ich die Mathearbeit gut hinkriege" oder "Herr, gib mir jetzt die richtigen Worte für das schwierige Gespräch." Also Gebete, in denen unser Anliegen sofort aus uns herausplatzen. Das ist okay.

Aber für unsere regelmäßige Gebetszeit und überhaupt grundsätzlich für unser Beten allein oder mit anderen kommt es entscheidend darauf an, dass wir erst einmal unsere inneren Antennen auf die unsichtbare aber doch reale Gegenwart Gottes ausrichten.

Diesen notwendigen ersten Schritt zeigt uns Jesus ganz klar in den Formulierungen seines Mustergebetes, des Vaterunsers. Die ersten drei Bitten fangen nicht mit "uns" oder "ich" an, sondern mit Dein. Dein Name werde geheiligt, dein Reich komme, dein Wille geschehe. In diesen drei Bitten richten wir also unsere Gedanken zunächst auf Gott aus. Um das "Du" geht es zuerst, nicht um das "ich" oder "wir".

Ich bete ja täglich für mich dem Vaterunser entlang - jede Bitte ist für mich wie eine Gebetsüberschrift. Und dabei mache ich mir z.B. bei dieser ersten Vaterunserbitte "Dein Name werde geheiligt" bewusst: Dein Name, Gott, ist Jahwe - und das heißt: Ich bin, der ich bin. Ich bin der ´Ich bin da´, wie Martin Buber übersetzt. Und ich heilige jetzt deinen Namen, indem ich mich über die Zusage deines Daseins freue. Gottesbewusst beten heißt: Meine inneren Antennen auf die Präsenz Gottes ausrichten.

2. Erhörungsgewiss beten

Vers 6  Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten.

Dass Gott im Verborgenen da ist und zugleich ins Verborgene sieht, das heißt, das auch wir vor Gottes Augen präsent sind. Und das ist das Zweite, das ich mir immer wieder bei meinem Gebet bewusst mache: Gott kann mein Herz lesen, Gott kann meine Gedanken hören, Gott kann meine Empfindungen spüren. Vor ihm brauche ich keine große Reden darüber halten, wie es mir geht, damit er es weiß, und erklären, worum ich ihn bitte oder wonach ich mich sehne.
Jesus sagt in Vers 8: "Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft,  bevor ihr ihn bittet." Das ist ein Zusage: Gott hört unser Gebet, er kennt unsere Anliegen und nimmt sie auch ernst und darum dürfen wir auch immer erhörungsgewiss beten.

Euer Vater weiß, was ihr braucht, noch bevor ihr ihn bittet.
Freilich bringt uns diese prägnante Aussage Jesu ins Hinterfragen der Sinnenhaftigkeit unserer Gebete: Ja, ist es dann überhaupt noch notwendig, dass wir beten, wenn Gott sowieso alles weiß?

Ja, es ist notwendig, weil Gott zwar weiß, was uns auf dem Herzen liegt und was wir brauchen, aber es freut ihn, wenn wir es mit ihm teilen und vertrauensvoll vor ihn bringen. Der Sinn unserer Gebete liegt nicht darin, dass wir Gott informieren müssen über unsere Themen. Der Sinn liegt darin, dass wir in Bezug auf unsere Lebensthemen in eine bewusste Beziehung zu ihm treten. Auf die Beziehung kommt es Gott an, nicht auf die Information. Für mich sind manche Fürbittgebete fast lächerlich, wenn sie Gott eine ganze Litanei vorhalten, was er im genannten Fall genau tun soll. Ich glaube, Gott weiß in allen Situationen besser als ich, was gut ist. In unseren Fürbittgebeten genügt es eigentlich, wenn wir das Anliegen sagen und Gott schlicht um Erbarmen und Hilfe bitten. Der Rest unserer Fürbitten ist dann meist nur Information für die anderen oder Darlegung unserer persönlichen Meinung.

Klar, dennoch dürfen wir Gott natürlich immer auch sagen, was wir uns wünschen. Wie Kinder ihrem Vater oder ihrer Mutter ihre Anliegen und Wünsche sagen, so dürfen wir auch zu Gott beten. Doch werden wir als erwachsene Menschen uns dabei an die Gebetshaltung erinnern, die Jesus uns in Gethsemane am deutlichsten vorgelebt hat: Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. Jesus hat sich von Gott aus tiefstem Herzen gewünscht, dass er vor dem schlimmen Leiden, das er vor sich sah, bewahrt wird. Doch Jesus konnte zugleich seinen Wunsch der Absicht und dem Willen seines Vaters im Himmel unterordnen. Du weißt, was das Beste ist. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden, beten wir deshalb im Vaterunser.

Ich sage das alles nicht leichtfertig dahin. Ich habe über ein Jahr lang mit meiner Frau Gott angefleht, dass er sie von ihrer Krebserkrankung heilen möge. Es war unser tiefster Wunsch, und dennoch mussten wir das aus Gottes Hand nehmen, dass sein Wille für sie ein anderer war. Ihre Zeit war vor fast genau einem Jahr am 26. Mai gekommen. Ich kann es bis heute nicht verstehen, warum unser gemeinsames Glück so jäh enden musste. Verstehen kann ich es nicht, aber ich kann inzwischen dennoch vertrauensvoll mein Ja zu diesem schweren Weg sprechen. Gott wird wissen, warum. Das genügt. Sie ist am Ziel und mir wurden fünf wundervolle Jahre mit ihr geschenkt. Punkt.

Und da bin ich auch schon beim meinem letzten Punkt. Nach 1. Gottesbewusst beten und 2. Erhörungsgewiss beten schließlich

3. Veränderungsbereit beten

Wenn das unser Gebet ist, dass Dein Wille geschehe, dann bedeutet das auch, dass wir bereit sind, uns durch unser Gebet verändern zu lassen.. Manche Menschen meinen, ihr Gebet wäre dazu da, Gott zu verändern. Sie begreifen nicht, dass das Gebet vor allem sie verändern möchte.

Am Beispiel des vertrauensvollen Einwilligens in Gottes Weg habe ich das schon gezeigt.

Ein zweites Beispiel für veränderungsbereites Beten möchte ich zum Schluss ausführen. Es geht um die Bitte zur Vergebung. Die scheint Jesus ein ganz wichtiges Thema gewesen zu sein. In unserem Predigttext lesen wir zunächst die Vaterunserbitte: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und das ist ja schon herausfordernd genug, das ehrlich zu beten. Doch sofort nach dem Amen des Vaterunsers setzt dann Jesus noch eines drauf und sagt:

14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

Ich denke, es geht Jesus hier nicht um einen mechanischen Tun-Ergehen-Zusammenhang. Ich glaube, er will uns vielmehr mit diesen drastischen Worten dafür gewinnen, dass wir es wagen, uns wirklich auf die Dynamik der Versöhnung einzulassen. Es zerstört uns selbst am meisten, wenn wir unversöhnt leben. Es nimmt uns den Frieden und die Lebensfreude, wenn wir es nicht schaffen, unserem Mitmenschen seinen Fehler und seine Schuld zu verzeihen. Es eröffnet Befreiung, wenn wir dem anderen vergeben, nicht nur für ihn, sondern auch für uns selbst.

Freilich erlebe ich das mit der Vergebung in Fällen, wo ich wirklich verletzt worden bin, oft so, dass das mit der Vergebung nicht so einfach geht, jedenfalls nicht von heute auf morgen. Es braucht manchmal Zeit, bis ich wirklich dazu fähig und bereit bin. Vergebung ist meistens mehr als ein einmaliger Akt, sondern ein Weg auf den ich mich einlasse. Ein Prozess, an dessen Ende die Versöhnung steht. Und darum ist es gut, dass ich z.B. täglich diese Vaterunserbitte bete: "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Und jedesmal, wenn ich das bete, wird mir bewusst, wo noch etwas aussteht für mich. Oder wo ich weiterkommen will in dem Prozess, einem Menschen wirklich von Herzen zu verzeihen. Oder, wo ich tatsächlich beim Beten inneren Frieden gegenüber einem Menschen finden soll, der mich verletzt hat.

Veränderungsbereit beten. Es ist wichtig, dass unser Beten so geschieht, dass es uns selbst verändern kann.  Wir finden ein Ja zu Gottes Wegen. Wir öffnen uns für die Dynamik der Versöhnung und des Friedens.

Jesus lehrt uns beten. Lasst uns von ihm lernen
- gottesbewusst zu beten,
- erhörungsgewiss und auch
- veränderungsbereit.

Amen

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