Text der Predigt zum Pfingstsonntag am 31. Mai

31.05.2020

Liebe Gemeinde,
Pfingsten, bzw. das Geschenk des Heiligen Geistes hat für mich immer zwei Seiten:

Zum einen die eher laute und spektakuläre Seite. Wir hören aus der Pfingsterzählung, dass der Heilige Geist vor 2000 Jahren wie ein gewaltiger Sturm den Versammlungsort der Jünger erfüllt hatte und sich wie Feuerzungen auf jeden von ihnen niederließ. Oder wir hören von den eindrucksvollen Folgen der Predigt dann des Apostel Petrus. Es heißt, dass damals 3000 Menschen zum Glauben kamen und sich taufen ließen. Das sind schon ziemlich spektakuläre Dinge.

Aber es gibt auch die ganz andere Seite vom Wirken des Geistes Gottes. Und über die möchte ich gerne heute morgen sprechen. Es ist die mehr stille, zurückhaltende, intime, ja, fast schüchterne Seite seines Wirkens. Uns wird in der Bibel nicht nur vom lauten Brausen erzählt oder von entrückter Ekstase, sondern auch vom sanften Säuseln des Geistes, oder von der inneren Stimme, die uns dessen gewiss macht, dass wir ein geliebtes Kind Gottes sind. Oder Paulus beschreibt dieses unaussprechliche Seufzen, mit dem der Heilige Geist in uns und für uns betet, wenn wir selbst nicht mehr wissen, was wir beten sollen. Oder im Evangelium wird uns erzählt, dass der Geist Gottes bei der Taufe auf Jesus wie eine Taube herabkam. (Er kam also nicht wie ein zupackender Greifvogel oder ein donnerndes Düsenfleugzeug über Jesus, sondern sanft wie eine Taube.) Ja, und dann gibt es noch im Johannesevangelium diese wunderbare Bezeichnung für den Heiligen Geist, dass er der "Parakletos" ist. Das bedeutet übersetzt "der Tröster an unserer Seite", "der Fürsprecher in allem Widerstand", "der Ermutiger unserer Herzen". Und schließlich wird uns im Neuen Testament sowieso grundsätzlich aufgezeigt, dass der Heilige Geist nichts anderes verkörpert als das Wesen von Jesus Christus selbst. Jesus war sanftmütig und von Herzen demütig. Und so ist es auch der Geist, der von ihm ausgeht.

Also: Diese zurückhaltende, unspektakuläre und sanfte Seite des Geistes Gottes möchte ich heute herausstreichen. Und ich möchte dazu einen Zugang aufzeigen, indem ich an unsere ganz alltäglichen Lebenserfahrungen anknüpfe. Und dabei möchte ich aus aktuellem Anlass in einem ersten Schritt über die Formen nachdenken, in denen wir Beziehungen und Begegnungen mit anderen Menschen gestalten. Denn diese Formen haben sich ja in dieser Coronazeit ganz schön verändert.
Und das betrifft vor allem die Art, in der wir gegenseitige Nähe ausdrücken können.
Vor Corona war es üblich gewesen, dass man sich z.B. die Hand zur Begrüßung oder Verabschiedung gab, oder dass man sich gar umarmte. Oder es gab solche Gesten, dass man sich auf die Schulter klopfte oder gar über die Haare streichelte, wenn man jemanden trösten wollte. Auf jeden Fall gab es vielfältige Gesten der Berührung und der physischen, körperlichen Kontaktaufnahme. Das geht nun nicht mehr - oder eben nur ganz eingeschränkt unter Menschen eines Haushaltes.

Auf der anderen Seite eignen wir uns nun eine ganz neue Klaviatur von Formen der nicht direkt-körperlichen Kontaktaufnahme an. Wir grüßen uns z.B. mit einer Verneigung oder mit einem betont freundlichen Lächeln. Und wir nehmen überhaupt viel mehr Blickkontakt auf, schauen uns bewusst in die Augen, um Nähe zu zeigen. Und wir lernen unsere Gefühle noch mehr mit Worten auszudrücken. Ja, wir entdecken das Telefonieren wieder, oder schreiben uns E-Mails, oder gar Briefe. Oder wir denken ganz einfach aneinander, wünschen uns in Gedanken Gutes oder beten füreinander. Auch das alles ist Kontaktaufnahme und gelebte Beziehung. Wir entdecken, dass das nicht nur körperlich/physisch geschehen kann, sondern dass es auch viele nicht-körperliche Formen gibt, die dennoch eine tiefe Verbundenheit ausdrücken können.

Ein kleiner Exkurs dazu: Wenn man ein Baby in seiner Entwicklung beobachtet, dann stellt man fest, dass es am Anfang des Lebens ganz auf den Körperkontakt fixiert ist. Der stärkste Ausdruck von Beziehung ist das Gestilltwerden an der Mutterbrust. Doch je älter das Kind wird, desto vielfältiger werden dann die Verbindungen zur Umwelt und auch die Formen, mit denen das Baby mit der Umwelt kommuniziert. Am Anfang waren es nur Gesten wie weinen, wenn etwas nicht stimmt, oder das Greifen nach der Mutterbrust, doch dann kommt ein immer vielfältigeres Repertoire hinzu: z.B. erste Töne und Sprachlaute, die die Väter dann meistens stolz als "Papa" intepretieren, oder Kichern und Glucksen, wenn man das Baby angenehm kitzelt usw. und so fort. Und auch der Beziehungsradius des Babies wird immer größer: Geschwister, Oma, Opa, Onkel, Tanten, Freunde, Nachbarn. Sie alle nehmen Kontakt auf. Aber dabei geschieht etwas Interessantes: Je mehr Kontakte ein Baby hat, desto mehr wächst in ihm auch das Gefühl für die gewünschte Nähe oder Distanz. "Es fremdelt" sagen wir dann, wenn es plötzlich anfängt zu weinen, wenn die Tante es überschnell auf den Arm genommen hat. Das Kind möchte selbst entscheiden, von wem und wie es berührt wird. Es lernt, was für uns Menschen lebenslang eine Herausforderung bleiben wird: Diese Ausgewogenheit zwischen Nähe und Distanz zu anderen Menschen.

Ja, das gilt wirklich für uns alle - lebenslang. Nicht jede Berührung ist auch für uns Erwachsene angenehm. Und manchmal haben wir im Kontakt mit einem Menschen den Eindruck: "Der kommt mir jetzt zu nah" - obwohl er mich gar nicht berührt hat. Wir alle tragen so etwas wie eine unsichtbare Abstandshülle um uns herum. So ungefähr im Abstand von 40 cm plus/minus umgibt uns dieser Distanzmesser, der unseren Gefühlen signalisiert, ob diese Nähe jetzt angenehm oder unangenehm ist. Und dieses Nähe/Distanz-Sensorium ist sogar so empfindlich, dass wir es manchmal sogar spüren, wenn uns ein Mensch allein mit Blicken zu nahe kommt. Wenn uns z.B. jemand quer durch den Raum beobachtet. Das können wir manchmal spüren, obwohl diese Blicke oder Gedanken doch gar nicht physisch messbar sind.

Warum erzähle ich das alles so ausführlich? Weil ich uns bewusst machen möchte, dass es nicht nur die körperlich spürbaren und messbaren Formen von Kontaktaufnahme gibt, sondern auch so etwas wie ein unsichtbares Beziehungsgeflecht um uns herum. Das erleben wir oft auch im ganz positiven Sinn. Dass uns z.B. schon die reine Gegenwart eines Menschen trösten kann oder einfach gut tut. Oder dass uns ein Blick oder eine Geste eines Menschen ganz tief anrührt, auch ohne Worte.

Manchmal mutet mich das schon richtig geheimnisvoll an, wie viel da zwischen uns Menschen geschieht jenseits von konkreten Berührungen oder Worten. Es gibt jedenfalls ganz viele Ebenen der unsichtbaren Kommunikation.

Allerdings bewerten wir in der Regel diese unsichtbare Kommunikation eher als minderwertig. Die rein gedanklichen und geistigen Beziehungsebenen wirken auf uns eher wie ein Ersatz für konkrete Begegnungen. Was ist z.B. eine E-Mail wert gegenüber einem echten Besuch? Oder was wiegt das sorgenvolle Denken an einen anderen Menschen gegenüber einer liebevollen Umarmung? Oder was wiegt ein Gebet für einen Menschen gegenüber einer konkreten Hilfe?

Aber stimmt diese Abstufung wirklich? Ist die physische Beziehungsebene wirklich grundsätzlich immer stärker und besser als die rein geistige? Ich denke nicht. Es gibt z.B. Freundschaften, die leben von Briefen. Und in Coronazeiten finden Chöre über Online-Kanäle zusammen. Oder es entstehen Liebesgeschichten aus E-Mail-Kontakten. Und manche Dinge kann man z.B. über etwas Geschriebenes noch besser ausdrücken als durch ein Gespräch unter vier Augen.

Vielleicht sollten wir uns da etwas korrigieren, wenn wir denken, dass die sichtbaren und greifbaren Verbindungen zwischen Menschen immer mehr wert sind als die unsichtbaren und nicht direkt greifbaren. Stellen wir uns einmal eine Welt vor, in der es all diese Formen der unsichtbaren Kommunikation nicht gäbe. Eine Welt ohne E-Mails oder whatsapps, eine Welt ohne Briefe, eine Welt ohne Bücher, eine Welt ohne das Aneinanderdenken, eine Welt ohne Gebete füreinander... Ich glaube, das wäre eine arme Welt.

Ich behaupte stattdessen: Das Spektrum dieser unsichtbaren inneren Verbindungen zwischen Menschen ist viel mehr als ein trauriger Ersatz für direkte Begegnungen. Nein, es hat einen ganz eigenen Wert, es ist ein großer Schatz, ohne den ich mir diese Welt gar nicht vorstellen möchte.

Und mit dieser Behauptung komme ich jetzt auf den Heiligen Geist zu sprechen: Ich erinnere mich, dass Jesus wenige Tage vor seinem Tod ein sehr intimes und berührendes Gespräch mit seinen Jüngern geführt hat. Wir können es im Johannesevangelium in Kapitel 16 nachlesen. Jesus bereitete seine Freunde auf die Zeit ohne seine konkrete Gegenwart vor. Und er sagt ihnen sinngemäß Folgendes: "Es dauert nicht mehr lange, dann werde ich nicht mehr bei euch sein. Und darüber werdet ihr sehr traurig sein. Aber in Wirklichkeit werde ich euch gar nicht verlassen, sondern ich werde euch meinen Geist senden. Durch ihn werde ich euch weiterhin nahe sein. Er wird wie ich allezeit euer Beistand und Tröster sein.
Ich weiß: Ihr seid traurig über mein Weggehen, aber ich sage euch: Es ist sogar gut, dass ich körperlich gehe, denn dann werde ich euch meinen Geist senden und der wird euch in alle Wahrheit leiten."

Verstehen wir nach allen meinen Vorgedanken, was Jesus hier seinen Jüngern klarmachen wollte? Er bereitete sie mit diesen Worten auf eine neue Form der Verbindung mit ihm vor. Die körperlich physische Verbindung wird zwar enden, aber es wird eine andere Ebene dafür lebendig werden. Die geistige, geistliche. Sie werden nicht mehr direkt, von Mensch zu Mensch in Verbindung sein. Also nicht mehr sichtbar, greifbar, hörbar, spürbar. Sondern dann indirekt, unsichtbar, unfassbar, aber dennoch geistlich erlebbar. "Ich werde nicht mehr so wie jetzt da sein für euch, aber ich werde euch meinen Geist senden", machte Jesus ihnen klar..

Und nun knüpfe ich an meine Vorüberlegungen an. Vielleicht konnten wir das bisher nachvollziehen, dass auch diese rein geistigen und geistlichen Verbindungsebenen zwischen Menschen einen ganz eigenen Wert haben.. Und sie müssen auch nicht weniger stark sein, nur weil sie sich in einem unsichtbaren, nicht quantifizierbaren Bereich abspielen. Sie können sogar tiefer und stärker und anrührender sein.

Denken wir an das Beispiel vom Baby zurück, das am Anfang nur die konkrete Verbindung mit der Mutterbrust sucht. Es wird sich weiterentwickeln und die körperliche Verbindung mit der Mama wird immer weniger werden. Doch die Liebe wird das Baby und die Mutter immer als festes Band zusammenhalten, wenn sich auch die Formen, wie sich diese Liebe ausdrückt, immer mehr ins Nicht-Körperliche verändern werden. Die Liebe wird auch losgelöst vom engsten Körperkontakt immer eine der wichtigsten Kraftquellen für dieses Kind bleiben.

Ähnlich ist es mit dem Heiligen Geist. So wie das Kind durch das unsichtbare Band der Liebe mit den Eltern verbunden bleibt, auch wenn es einmal groß ist und nicht mehr auf dem Schoß der Mama sitzt, so ist der Heilige Geist auch für uns alle das unsichtbare Band der Liebe, das uns mit Jesus Christus verbindet. Mit diesem starken Band der Liebe dürfen wir leben. Der Heilige Geist ist so gesehen die unsichtbare Beziehungsform, durch die wir mit Jesus Christus verbunden sind.

Jesus sagte zu seinen Jüngern in seiner Abschiedsrede, dass es sogar gut ist, dass er körperlich geht, denn dann wird er seinen Geist senden. Damit beschrieb er diese neue Dimension der Verbindung zwischen ihm und all seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern. In seinem körperlichen Dasein auf dieser Erde war ja Jesus komplett an Raum und Zeit gebunden. Er konnte z.B. nur mit einem Menschen zur gleichen Zeit reden, er musste auswählen, wem er sich zuwendet und wem nicht. Und er konnte sich nur einer begrenzten Zahl von Menschen widmen. Das heißt eben auch, dass andere Menschen aus seiner Zuwendung herausfielen. Jesu menschliches Wirken war also begrenzt. Doch durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Jesus dieses begrenzte Dasein überwunden. Er existiert seit Ostern in einer ganz neuen, geistlichen Existenz für uns. Und in dieser Existenz ist er nun nicht mehr in seinen Möglichkeiten der Zuwendung begrenzt. Und das ist auch gut so, denn dadurch kann Jesus sich in diesem Moment ganz mir zuwenden, ganz für mich da sein, er kann es zugleich aber auch für dich sein ...

Machen wir uns bewusst: Das Band der Liebe zwischen Jesus und seinen Nachfolgern ist nicht schwächer geworden durch seinen Tod, sondern stärker und unendlich weiter, uns umfassend, weltumfassend.

Wir feiern Pfingsten. Wir feiern das Geschenk des Heiligen Geistes. Es ist das Geschenk dieser wunderbaren geistlichen Beziehungsebene zwischen Jesus und uns. Wir können diese Ebene nicht wirklich fassen und begreifen und spüren, aber sie ist dennoch da, wie die Luft in diesem Raum. Und wir dürfen diese Beziehungsebene glaubend in Anspruch nehmen. Wir dürfen aus der Liebe des dreieinigen Gottes heraus leben, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Amen


GEBET
Heiliger Geist, rühr mein Herz an, mache mein Leben neu, dass ich Jesus vertrauen kann. Bleibe mir immer treu.
Heiliger Geist, rühr mein Herz an, leuchte mir, Gotteslicht. Zeige mir mein Lebensziel, schenke mir deine Sicht.
Heiliger Geist, mach mich mutig, von meinen Zweifeln frei, dass ich Gott fröhlich diene, anderen Nächster sei.
Heiliger Geist, komm, erleuchte mein Herz durch deine Kraft, die die Menschen verbindet, Gottes Familie schafft.
Heiliger Geist, rühr mein Herz an, mach mich zum Lob bereit. Wirke in uns und durch uns heute und allezeit.

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