Text der Predigt zum Karfreitag am 2. April 2021

Predigt zu Karfreitag

Liebe Gemeinde,

nun werden wir gleich in die Geschichte von Jesu Leiden und Sterben hinein genommen werden. Ich werde uns aus der Passionsgeschichte des Lukasevangeliums lesen. Wir werden gleich davon hören, wie Jesus verraten, verlassen und verklagt wird. Und sie werden ihn foltern und an einem Kreuz zu Tode quälen.

Mir geht es so, dass ich beim Lesen der Passion Jesu immer wieder nicht nur an ihn denken muss, sondern auch an die vielen anderen Menschen, die vor ihm und nach ihm gefoltert, geschlagen und gequält werden. Wir sehen aktuell Bilder aus Myanmar, wir sahen und sehen Bilder aus Weissrussland, wir hören von fürchterlichen Gräueltaten in Nordost-Afrika. Überall in der Welt geschieht es. Und mir ist bewusst, dass in dieser Stunde, in der ich diese Worte spreche, Menschen ähnlich wie Jesus gequält werden.

Seit Jahrhunderten und Jahrtausenden ist Folter ein verabscheuungswürdiges Mittel, um Menschen gefügig zu machen und Geständnisse aus ihnen heraus zu pressen. Was haben Menschen nicht schon alles gestanden, um nicht noch weitere Schmerzen ertragen zu müssen! Unter Folter haben Menschen ihre Freunde verraten und ihre Familien verflucht. Unter Folter haben Menschen ihren Glauben verleugnet und Gott abgesagt. Unter Folter haben Menschen gar schon die eigene Mutter umgebracht. Es scheint, dass man Menschen durch Folter zu allem zwingen kann.

Aber das stimmt nicht ganz: Es gibt eines, zu dem man keinen Menschen zwingen kann. Wirklich keinen Menschen zwingen kann - seien die zugefügten Qualen noch so groß, und die gefolterten Menschen noch so schwach. Man kann keinen Mensch zur Liebe zwingen. Man kann keinen Menschen durch Gewalt dazu zwingen, einen anderen Menschen zu lieben. Man kann die Liebe aus einem Menschen heraus prügeln, aber man sie in keinen Menschen hinein prügeln. Kein noch so brutal agierender Mensch kann einen anderen dazu zwingen, ihn zu lieben. Liebe kann nie erpresst oder erzwungen werden. Liebe ist und bleibt frei.

Das ist übrigens auch der Grund, warum Gott, der Allmächtige, so zurückhaltend ist, seine Macht zu gebrauchen. Auch Gott kann keinen Menschen dazu zwingen, ihn zu lieben. Das aber ist sein sehnlichster Wunsch. Doch er kann uns dazu nicht zwingen.
Ein Theologe hat einmal gesagt: "Gottes Problem ist es nicht, dass er gewisse Dinge als Allmächtiger nicht tun könnte. Gottes Problem ist es, dass er liebt und dass er geliebt werden möchte. Und Liebe kann nicht erzwungen werden. Auch von Gott nicht."
Also noch einmal: Man kann Menschen zu fast allem zwingen, nur nicht zur Liebe.

Wir hören gleich davon, wie schlimm Jesus bis zum bitteren Tod gefoltert und gequält worden ist. Aber es fällt uns beim Hören des biblischen Textes auf, dass ihn das alles nicht in den Zorn und den Hass hinein getrieben hat. Zum Hass gegenüber denen, die ihn verhörten, verhöhnten, schlugen, auspeitschten und wehrlos am Kreuz hängend anspuckten. Und auch gegenüber denen, die ihn verraten und verleugnet und im Stich gelassen hatten, verfiel er nicht in Wut und Zorn. Seine engsten Freunde! Irgendwie tragen sie alle Mitverantwortung für seinen Tod.
Ja, und ich glaube, dass ich auch indirekt mitverantwortlich bin für das, was Jesus erleiden musste. So wie es der Liederdichter ausgedrückt hat: "Was ist doch wohl die Ursach dieser Plagen? Ach, meine Sünden haben dich geschlagen; ich, mein Herr Jesu, habe dies verschuldet, was du erduldet."

Jesus wurde als Unschuldiger zu Tode gequält. Er starb durch die Schuld anderer. Und er starb für die Schuld anderer. Doch Jesus weigerte sich, irgendeinen Menschen, der ihm das angetan hat, zu hassen. Er weigerte sich, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Im Gegenteil: Wir werden ihn sehen, wie er das Ohr des Soldaten, der ihn gefangennehmen wollte, wieder heilte. Wir werden ihn sehen, wie er denen vergab, die ihn verließen, verleugneten und verrieten. Ohnmächtig am Kreuz hängend betete er selbst für seine Peiniger: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Am Kreuz hören wir keinen Fluch, kein böses Wort von Jesus. Nein, wir sehen einen, der sich nicht dazu verleiten lässt zu hassen. Wir sehen einen, der nicht aufgibt zu lieben. Wir sehen einen, der nicht aufgibt, die Menschen zu lieben.

Der Evangelist Johannes beschreibt das, was Jesus am Kreuz vollbracht hat, in einem Satz so: "Vor dem Passafest erkannte Jesus, dass seine Stunde nun kommen würde und dass er aus dieser Welt gehen müsse zum Vater. Und wie er die Seinen geliebt hatte, so liebte er sie bis ans Ende." Johannes 13,1
Jesus liebte die Menschen bis ans Ende. Das ist für mich die treffendste Bezeichnung für das, was uns in den Passionsgeschichten vor Augen gemalt wird - egal ob von Matthäus, Markus, Lukas oder Johannes. Jesus hielt seine Liebe zu den Menschen durch bis zum Ende.

Man kann niemanden zur Liebe zwingen. Liebe kann immer nur aus einer freien Entscheidung heraus geboren sein. Jesus hatte sich entschieden, zu lieben bis zum Ende. Jesus hatte sich entschieden, selbst seine Feinde zu lieben. Und Jesus hatte sich auch entschieden, dich und mich zu lieben.
Wir können Jesus verleugnen, wir können Jesus durch unsere Ablehnung verletzen, wir können ihn durch unser Leben enttäuschen, wir können jederzeit seinem liebenden Herzen einen Stich versetzen. Aber wir können ihn nicht davon abbringen, uns zu lieben. "Wie er die Seinen geliebt hat, so liebte er sie bis ans Ende." Gott sei Dank!
Amen

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