Text der Predigt am Sonntag, den 29. November
PREDIGT zu Sacharja 9, 9-10
9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Liebe Gemeinde,
da kommt sie angerollt, die Präsidentenkolonne: Vorneweg die Motorräder zum Absichern der Route: Dann die Mannschaftswagen der Polizei und dahinter die Autos der Security gefolgt von der schwer gepanzerten Großraumlimousine des Präsidenten. Scharfschützen überall auf den Hausdächern. Vor dem Palast wird der rote Teppich ausgerollt, gut abgeschirmt vom Volk.
So oder ähnlich ist es doch immer, wenn die Macht einzieht. So ist es doch immer, wenn Könige, Regierungspräsidenten, Kanzlerinnen, Machthaber ankommen und einziehen.
So auch z.B. am 13. März 1938. An diesem Tag zieht Adolf Hitler in Wien ein. Hunderttausende stehen an den Straßen. Alle wollen ihn sehen. Schwenken Fahnen, werfen Blumen, weinen Tränen der Begeisterung, kreischen, schreien, jubeln. Sämtliche Kirchenglocken der Stadt läuten. Eine Million Menschen stehen auf dem Heldenplatz und jubeln dem Führer zu. Unglaublich. Eine Demonstration der Macht, der sich keiner entziehen kann.
Doch noch am selben Tag fliehen die ersten über die Grenze oder verkriechen sich in den Häusern, weil sie wissen: Bald werden sie kommen, diese neuen Herren und dann werden echte Tränen geweint. Und sie kommen. Bösartig, brutal. Universitätsprofessoren müssen mit bloßen Händen die Straßen fegen. Fromme, weißbärtige Juden werden von johlenden Burschen gezwungen, Kniebeugen zu machen, demütigend, entwürdigend. Die einen weinen vor Rührung, die anderen werden verhaftet. Ist es so nicht immer, wenn die Macht ihren Einzug hält? Nebukadnezar, Napoleon, Hitler, Lukaschenko, die Diktatoren dieser Welt. Die einen jubeln ihnen zu und die anderen füllen die Gefängnisse.
Siehe, dein König kommt zu dir... kündet der Prophet Sacharja dem Volk Israel und der ganzen Welt an. Doch was für ein Kontrastbild offenbart er uns da in seiner prophetischen Schau. Hören wir noch mal hin:
9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. 10 Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Ich frage mich, wie wohl die Menschen damals reagiert haben, als der Prophet ihnen diese Worte verkündet hat. Er präsentierte ja diese Vision nicht als seine Idee oder seine Vorstellung von der Zukunft, sondern er verkündete sie als Gottes Wort, als eine weltgeschichtliche Realität, die Gott einmal schaffen wird. Dieser König wird kommen und die Welt regieren, sagt Gott. Die Leute werden damals vielleicht milde gelächelt haben, wenn sie nett waren, andere werden den Propheten als verrückt erklärt haben. Das ist doch vollkommen jenseits aller Realität! Könige kommen anders, Könige regieren anders. Ein König, der armselig auf einem Esel einzieht, wie soll der der ganzen Welt gebieten, wie soll der den aggressiven Siegermächten die Stirn bieten und Frieden durchsetzen, ganz ohne Kriegsgerät? Das scheint reine Utopie zu sein. U-topos - keinen Platz in der Realität, heißt das.
Und seien wir einmal ehrlich: Wie viel Realität trauen wir eigentlich dieser prophetischen Schau des Sacharja zu? Natürlich ist das bei uns Brauchtum, dass wir alle Jahre wieder am 1.Advent diesen Bibeltext als Wochenspruch hören und dann auch von Jesu Esels-Einzug nach Jerusalem als Erfüllung der Prophezeiung. Aber wie viel Realität trauen wir dieser Sacharja-Verheißung von diesem eigenartigen König, der der ganzen Welt Frieden gebietet, wirklich zu? Wir kennen doch nur die andere Vorstellungswelt von dem, wie Könige und Regierende und Mächtige über diese Welt herrschen.
Doch das ist meine Bitte: lasst uns heute mal nicht auf das schauen, was immer schon war und was nach unserem Gefühl immer so bleiben wird, sondern lasst uns darauf schauen, was Gott uns konkret durch das Prophetenwort vor Augen malt. Lasst uns darauf schauen, wie nach Gottes Vorstellung der wahre Herrscher der Welt handelt, und wem darum auch in Wahrheit die Zukunft gehört.
Erstens: Der verheißene König kommt als Armer und reitet auf einem Esel, sagt das Prophetenwort. Man könnte das hebräische Wort, das hier für "arm" steht, auch mit "demütig" oder "sanftmütig" übersetzen, wie es auch im Matthäus-Zitat später steht. Gemeint ist, dass der verheißene König einer ist, der nicht aufgeblasen und hochmütig auf dem hohen Ross sitzt, sondern der sich herabbeugt zu den einfachen Menschen - noch mehr: der einer von ihnen wird. Der Esel war das Reit- und Lastentier der einfachen Leute. Auf dem Esel zieht man nicht in den Krieg, mithilfe des Esels verrichtet man seine alltäglichen Aufgaben. So ist der wahre König der Welt gestrickt. Er kommt als Armer und wird einer von uns.
Zweitens: Er ist ein Gerechter und ein Helfer. So hat jedenfalls Luther übersetzt. Was hier im Urtext steht, könnte auch so übersetzt werden: Er ist ein Geretteter und einer, dem geholfen wurde. Dieser verheißene König ist also nicht der Supermann, der über allem erhaben ist und mal so locker und großzügig die Welt rettet, nein, er ist selbst einer, der klein und schwach war und dem geholfen werden musste. Er weiß, wie das ist, ganz unten zu sein und insofern wird er anderen auch ganz anders helfen können, die ganz unten sind. Seine Gerechtigkeit wird ein wirkliches Zu-Recht-helfen derer sein, die Unrecht leiden mussten.
Drittens: Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden (sagt Gott).
Nur so kann der von Gott verheißene König sein Recht durchsetzen, wenn Gott zuvor das getan hat, was er hier ankündigt: ich - sagt Gott - werde die Waffenarsenale der Mächtigen vernichten, ich werde den Kriegsbogen zerbrechen. Interessant ist für mich, dass hier nichts davon steht, dass Gott die Feinde vernichten wird, nein, er vernichtet die Waffen und damit die Voraussetzungen, Krieg zu führen.
Das hat seine Parallele in der prophetischen Schau des Micha und des Jesaja, die sagen, dass Gott in den letzten Tagen einmal die Schwerter zu Pflugscharen und die Spieße zu Sicheln machen wird. (Micha 4 / Jesaja 2) Gott vernichtet das Kriegsgerät und dann kann das geschehen, was vom verheißenen König viertens angekündet wird:
ER wird Frieden gebieten.
Gebieten wird er. Das heißt: Nicht mit Waffenarsenalen wird der verheißene König den Frieden durchsetzen, sondern mit seinem Wort. Mit der Durchsetzungskraft und der Vollmacht seines Wortes. Der Frieden setzt sich also auf der Verständnis- und Einverständnis-Ebene durch und nicht auf der Ebene des Zwanges und der Unterdrückung.
Das erinnert mich ebenso an die Zukunftsschauen der Propheten Micha und Jesaja, die beide vorhersagten, dass am Ende der Tage alle Völker zum Berg Zion ziehen werden und sagen: Kommt, lasst uns gehen zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen." (Jesaja 2,3, Micha 4,2) Hier wird also auch von einer Anerkennung des Willens Gottes auf freiwilliger Basis gesprochen - also auf der Verständnisebene.
Ähnlich ist auch der neue Bund gestrickt, von dem die Propheten Jeremia und Hesekiel sprachen: Gott wird seine Gebote in unsere Herzen schreiben. Menschen wandeln dann also auf Gottes Wegen, weil sie es wollen und als richtig erkannt haben, und nicht weil sie es widerwillig müssen.
Ich glaube, es ist unschwer zu erkennen, dass all diese Eigenschaften, mit denen die Sacharjaprophetie den verheißenen kommenden König schildert, exakt auf Jesus Christus zutreffen.
Erstens: Er war arm. In einem Stall geboren. Aufgewachsen bei solchen Leuten, die sich einen Esel halten. Stellt sich den Schwachen und Hilfsbedürftigen an die Seite. Wird selbst ein Leidender, weiß, was Schmerzen und Tränen sind.
Zweitens: Er war ein Gerechter und ein Helfer. Wo Jesus wirkte, atmeten die Menschen auf, wurden gesund, heil, rehabilitiert. Fanden Frieden. Und auch die andere Übersetzungsmöglichkeit trifft auf Jesus zu: Ein Geretteter und einer, dem geholfen wurde. Der Sohn Gottes beginnt sein irdisches Dasein als hilfloser Säugling und beendet schließlich sein Leben ohnmächtig an einem Kreuz hängend.
Drittens und viertens: Seine Waffe war das Wort. Er hätte als Sohn Gottes bis zuletzt zu anderen Mitteln greifen können, hätte Legionen von Engeln am Kreuz zu Hilfe holen können. Doch er tat das nicht. Sein Weg war der des Friedensstifters. Selbst am Kreuz leidend bat er noch um Vergebung für seine Peiniger. Sein Durchsetzungsmittel war nicht der Zwang, sondern das Wort, die Vergebung und das Werben um Gottes Wahrheit.
Ist also die Sacharja-Verheißung durch Jesu Kommen in diese Welt schon in Erfüllung gegangen? Ich würde sagen: Ja und Nein.
Zunächst: Nein. Nein insofern, dass es auf der Hand liegt, dass das, was Sacharja beschreibt, noch keine Realität ist. Denn er wird Frieden gebieten und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
Das kann ich beim besten Willen nicht in unserer Welt sehen. Allein im Jahr 2019 musste man 27 Kriege in dieser Welt zählen. Und 2020 ist es nicht weniger geworden. Nein, ich sehe diesen Zustand nicht, dass der verheißene Friedenskönig Jesus Christus von einem Ende bis zum anderen Ende der Erde herrscht. Es wird einmal so sein. Aber erst dann im vollen Umfang, wenn Jesus wiederkommen wird und Gott sein Friedensreich endgültig aufrichtet.
Darauf werde ich später noch einmal eingehen. Jetzt möchte ich uns zuerst klar machen, dass die Verheißung des Sacharja dennoch schon begonnen hat, Realität zu werden. Mit Jesu Kommen in diese Welt hat das Prophezeite begonnen in Erfüllung zu gehen. Mit Jesus ist der Friedenskönig schon gekommen. Und durch ihn begann wirklich zu werden, was Sacharja gesehen hat. Aber es begann im Kleinen. In Jesus Wirken und Werben. Er lebte vor, was Gott wollte und warb für Gottes Art und seine Wege des Friedens. Und Jesus scharte Menschen um sich und einige machten sich mit ihm auf den Weg, folgten ihm nach, lernten von ihm eine neue Lebensweise. Und das zog immer größere Kreise. Niemand und nichts konnte die Jesusbewegung aufhalten. Nicht einmal seine Ermordung, sein Tod am Kreuz. Ganz im Gegenteil: Am dritten Tage bekannte sich Gott eindeutig zum Gekreuzigten als seinem Messias, indem er ihn vom Tode auferweckte. Und als der Auferstandene begegnete Jesus dann seinen trauernden Jüngern und erweckte auch sie gewissermaßen zu neuem Leben. Beauftragte sie, Menschen in seine Nachfolge zu rufen. Und dann breitete sich die ganze Bewegung gewissermaßen explosionsartig aus. Innerhalb weniger Jahrzehnte breitete sich der Glaube an den Friedenskönig Jesus Christus über den halben Erdkreis aus. Und es ging weiter durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch. Und auf geheimnisvolle Art und Weise berührt der Auferstandene auch noch bis zum heutigen Tag die Herzen unzähliger Menschen und macht sie zu seinen Nachfolgern.
Auch wir folgen ihm nach. Wir folgen dem Friedenskönig nach. Wir lernen von ihm und leben das, was er uns vorgelebt hat. Mit Worten und Taten wollen wir das umsetzen. Er gebietet uns Frieden. Er gebietet uns Frieden. Bei mir und dir soll sein Friede Gestalt gewinnen.
In mir und dir kann die Sacharjaverheißung Wirklichkeit werden. Auch wenn die Vollendung in Gottes zukünftigem Friedensreich noch nicht da ist. Dennoch kann dieser Frieden jetzt in dir und mir schon Wirklichkeit werden. Und auch in unserer Gemeinde kann die Verheißung Gestalt gewinnen.
Und wo das geschieht, da werden Waffen niedergelegt.
Auch Worte können wie Waffen sein. Manches Gerede kann wie eine Waffe sein. Manchmal ist auch Schweigen wie eine Waffe. Wir kennen viele solcher subtiler Waffen. Es müssen nicht Schwerter oder Pistolen sein.
Welches sind die Waffen, die Jesus uns aus der Hand nehmen will, wenn er uns Frieden gebietet? Vielleicht ist das eine gute Frage für die vor uns liegende Adventswoche. Achtet mal darauf, wo euch Jesus als der Friedenskönig in dieser Woche begegnet und ins Gewissen redet und euch gebietet, die Waffen, wie immer die auch aussehen, niederzulegen und den Frieden zu suchen.
Die Adventszeit ist eine Zeit des Wartens. Wir erwarten das Kommen Jesu Christi. Wir bereiten uns vor, dass wir seine Menschwerdung im Stall zu Bethlehem angemessen feiern. Wir erwarten aber auch zugleich., dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus Christus einmal in Herrlichkeit wiederkommen wird, um endgültig sein Friedensreich aufzurichten. Doch noch ist es nicht soweit. Wir leben in einer Zeit dazwischen, zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Jesu Christi. Eine Zeit der Erwartung.
Aber ich möchte uns sagen, dass nicht nur wir warten, sondern auch Jesus wartet. Er wartet auf uns. Er wartet darauf, dass wir uns auf ihn einlassen. Er erwartet, dass wir seinen Frieden Gestalt gewinnen lassen in unserem Leben. Konkret: Heute an diesem Tag, was immer er bringen mag und auch in der vor uns liegenden ersten Adventswoche. Lassen wir Jesus nicht umsonst warten, sondern lassen wir es zu, dass er uns den Frieden gebietet und zum Frieden befähigt als unser Friedenskönig. Amen