Text der Predigt am Sonntag, den 28. Juni

27.06.2020

PREDIGT zu Micha 7, 18-19

"Wo ist ein Gott wie du, Herr? Du vergibst denen, die von deinem Volk übriggeblieben sind und verzeihst ihnen ihre Schuld. Du bleibst nicht für immer zornig, sondern lässt Gnade vor Recht ergehen, daran hast du Gefallen! Ja, der Herr wird wieder Erbarmen mit uns haben und unsere Schuld unter seinen Füßen zertreten. Unsere Sünden wirft er ins tiefste Meer." (HfA)


Liebe Gemeinde,
der größte Liebesdienst, zu dem Menschen fähig sind, ist zu verzeihen. Vielleicht ist es so, dass ein ganz großer Teil unserer Menschenwürde darin liegt, dass wir verzeihen können. Nichts adelt auf jeden Fall einen Menschen mehr, als dass er dazu fähig ist, seine Hand zur Vergebung auszustrecken. Das zeigt wahre innere Größe. Und ich bewundere solche Menschen, die es immer wieder schaffen, zu verzeihen statt aufzurechnen und heimzuzahlen.

Allerdings möchte ich in dieser Predigt nicht der Versuchung erliegen, dass ich uns jetzt großartige Beispiele erzähle von vorbildhaften Menschen, die dazu fähig wurden, schlimmste Schuld zu verzeihen. So etwa wie Immaculée Ilibagiza. deren ganze Familie beim großen Genozid in Ruanda von Hutus hingeschlachtet worden ist und die dazu fähig wurde, den Mördern zu vergeben. Ihre Geschichte hat sie beim Willow-Creek-Kongress vor vier Monaten erzählt und das hat uns, die wir als Gruppe aus Neuenhain dort waren, zutiefst bewegt.
Aber ehrlich gesagt lösen solche Geschichten bei mir manchmal auch das deprimierende Gefühl aus, wie schlecht und kleinlich ich dagegen beim Vergeben bin. Und das andere wird mir dabei auch bewusst: In der Realität kenne ich viel mehr Geschichten vom Gegenteil - von mir und von anderen. Geschichten davon, dass Menschen nicht vergeben konnten und können.

Ich mag z.B. so sehr das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das wir eben in der Schriftlesung hörten. Wie dieser Ausreißer nach Hause kehrt und der Vater ihm schon von weitem entgegenläuft und ihn schließlich verzeihend in die Arme nimmt. So sollte es sein. Aber in der Realität habe ich einmal genau das Gegenteil erlebt und das kann ich einfach nicht vergessen. Da war ein Sohn abgehauen und wir überredeten ihn, wieder nach Hause zu kommen, trotz allem Mist, den er verbockt hatte. Und dann kam er heim und es geschah genau das Gegenteil von dem, was im biblischen Gleichnis erzählt wird: niemand schloss ihn in die Arme, stattdessen wurde er überhäuft mit Vorwürfen und Beschuldigungen. Und ich saß dabei und litt mit dem zerknirschten Jungen.

Hand auf´s Herz. Verzeihen ist sehr schwer. Auch für Eltern. Und für uns alle. Und ich habe mich in der Vorbereitung auf diese Predigt gefragt: Warum fällt uns Verzeihen so schwer? Da gibt es sicherlich ganz viele Gründe, die wir hier anführen könnten. Und vielleicht ist das eine Frage, über die wir mal zu Hause nachdenken und reden könnten. Warum fällt uns Verzeihen so schwer? Ich will hier nur einen Grund anführen, der mir zentral wichtig scheint.
Ich glaube, Verzeihen fällt uns so schwer, weil wir Menschen es uns oft zu leicht machen mit dem Verzeihen. Wir verzeihen oft nur mit Worten, aber diese Worte ziehen dann keine Lebensveränderung nach sich. Und das frustriert uns.
Wir erleben z.B., dass jemand, der einem anderen eigentlich verziehen hat, ihm dann dennoch das Unrecht jahrelang hinterherträgt. Oder wir erleben z.B., dass der, dem eine Schuld vergeben wurde, sich dadurch überhaupt nicht veränderte und dasselbe Unrecht wieder tat. Das meine ich mit: Wir machen es uns zu leicht mit dem Verzeihen. Echtes Verzeihen sollte Veränderung nach sich ziehen. Die Bibel redet da von Umkehr.

Mir fällt es z.B. ganz schwer zu verzeihen, wenn mir jemand etwas Falsches hinter dem Rücken nachgesagt hat. Okay, ich kann dann dem schon verzeihen, der das getan hat. Aber die Frage bleibt dennoch wie ein Stachel in mir: Wird der das wieder so machen? Da bleibt mehr Misstrauen in mir zurück als Vertrauen. Und das ist falsch.

Und das war jetzt nur ein recht schlichtes Beispiel. Ich möchte heute einen Bereich des Verzeihens ansprechen, der viel schwerer wiegt und über den wir kaum reden, so als ob es das unter Christen nicht gäbe. Aber in über 30 Jahren seelsorgerlicher Tätigkeit bin ich diesem Thema immer wieder begegnet:
Was ist, wenn der Partner fremd geht? Kann, soll, will ich dem anderen verzeihen? Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Doch ich habe in der Seelsorge Menschen erlebt, die sich wirklich durchringen konnten, dem anderen dann zu verzeihen. Ich habe vor solch einem Verhalten große Hochachtung. Doch was ist, wenn der andere wieder fremd geht. Kann ich noch einmal verzeihen? Und wird das Verzeihen dann nicht zur Farce, wenn sich das wieder und wieder wiederholt.

Ich erzähle dieses Beispiel, um deutlich zu machen, dass Verzeihen immer auf Veränderung zielt. Wenn ich dem anderen eine Schuld verzeihe, dann tue ich es in der Erwartung, dass er das nicht wiederholt und nächsten Monat wieder da steht mit derselben Beichte. Verzeihen zielt auf Veränderung.

Doch nicht nur Veränderung beim anderen, sondern auch bei mir, der ich verziehen habe. Ich muss nach dem Verzeihen wieder Vertrauen wagen. Nehmen wir mal an, ich habe dem Partner vergeben können. Das ist etwas Großartiges. Aber nur der erste Schritt des Verzeihens. Denn die Frage ist: werde ich ab sofort hinter meinem Partner nur noch hinterher spionieren, werde ich ihn ständig dem Verdacht aussetzen, dass er mich wieder betrügt? Echtes Verzeihen bedeutet auch, dass ich wieder Vertrauen wage.

Umkehr und neues Vertrauen sind notwendige Folgen von Verzeihen.

Der Autor des bekannten Bestsellers "Die Hütte", William Paul Young, erzählte einmal von seinem 11 Jahre andauernden Lebenslernprozess hin zu echtem Verzeihen. Er hatte eine dreimonatige Affäre mit einer der besten Freundinnen seiner Frau. Dann gingen ihm die Augen auf, über das, was er da angerichtet hatte: Er sagte zu sich: "...entweder muss ich jetzt auf die Knie gehen und mich dem Schmerz und der Wut meiner Frau stellen oder mich umbringen.“ Er ging auf die Knie. Aber seine Frau konnte ihm nicht verzeihen, weil sie um die tieferen Ursachen seiner Selbsttäuschungen wusste. Und so begann William Paul Young einen langen Weg der therapeutischen Seelsorge. Und er arbeitete schonungslos an sich, 11 Jahre lang fand er Schritt für Schritt zu seinem wirklichen Selbst und er konnte sich Stück für Stück von seinen Lebenslügen verabschieden und er schrieb am Ende dieser 11 Jahre dieses Buch "Die Hütte". Eigentlich war es nur an seine Frau und seine Familie adressiert. Auf jeden Fall stand am Ende dieser 11 Jahre das echte, tiefe und ehrliche Verzeihen seiner Frau und die echte, tiefe und ehrliche Lebensveränderung des William Paul Young.


Verzeihen ist nicht leicht. Und es erfordert oft wirkliche Arbeit an uns selbst - echte Lebensveränderung, das, was die Bibel Umkehr nennt. Und - Hand auf´s Herz - oft bleiben wir leider diese Umkehr schuldig. Nicht nur als diejenigen, denen vergeben worden ist, sondern auch als diejenigen, die vergeben haben und dennoch dem Anderen weiterhin sein Unrecht hinterhertragen.

Warum erzähle ich das alles, was hat das alles mit dem Predigttext zu tun, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist? Es ist eigentlich nur die Einleitung für das, was uns dort über Gottes Verzeihen gesagt wird. Es ist eigentlich nur das ehrliche Eingestehen dessen, wie schlecht wir Menschen im Verzeihen sind, um zu begreifen, wie gut der lebendige Gott darin ist.

Voller Staunen betet der Prophet Micha am Ende des Michabuches: "Wo ist ein Gott wie du, Herr? Du vergibst deinem Volk und verzeihst ihnen ihre Schuld. Du bleibst nicht für immer zornig, denn du liebst es, gnädig zu sein! Ja, der Herr wird wieder Erbarmen mit uns haben und unsere Schuld unter seinen Füßen zertreten. Unsere Sünden wirft er ins tiefste Meer."

Diese überaus freundlichen Töne überraschen eigentlich am Ende des Michabuches. Denn der Ton dessen, was der Prophet zuvor seinem Volk im Namen Gottes vorgehalten hatte, war ein ganz anderer gewesen. Micha hatte böse Worte gefunden - Unheilsworte gegen die Ausbeuter und korrupten Eliten seines Volkes. Er klagte die soziale Ungerechtigkeit an, aber auch die Gottlosigkeit in seinem Lande. Fremdgegangen sind sie mit den heidnischen Götzen. Immer und immer wieder. Und deshalb kündete Micha das Gericht Gottes an. Und dieses Gericht sollte sich dann tatsächlich auch vollziehen in der Eroberung und Gefangenschaft Israels. Tatsächliche Umkehr hatte Micha bei seinen Landsleuten nie erlebt. Trotzdem kündete er dann in den Versen unseres Predigttextes an, dass Gott wieder von seinem Zorn ablassen und sich seines Volk erbarmen wird. Das war einerseits prophetische Vorausschau von Micha auf das, was einmal passieren wird, aber andrerseits gründete diese Schau auch in seinem festen Glauben an den trotz allem gnädigen und gütigen Gott.

Von Anfang an zeichnete genau das Gottes Wesen aus. Der Urvater Abraham hatte Gott so erlebt und ebenso auch Mose und David und dieses Wesen offenbarte sich dann auch 700 Jahre nach Micha in Jesus Christus. Gott ist ein Gott des Verzeihens. Dieser Charakterzug Gottes fand schließlich seinen klarsten Ausdruck im Kreuzestod Jesu Christi. Auf Golgatha streckte Gott seine Hand aus zur Vergebung für alle Menschen zu allen Zeiten.
Micha kannte Jesus noch nicht, aber was er in unserem Predigttext ausdrückte, brachte genau das auf den Punkt, was Gott durch Jesus Christus am deutlichsten offenbart hat.

Drei Dinge möchte ich zum Schluss herausstreichen, was uns Michas Gebet über das Wesen Gottes klar macht:

1. Gott liebt es gnädig zu sein

- so formuliert die Einheitsübersetzung in V.18. Gott liebt es zu verzeihen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben: Ich liebe es nicht zu verzeihen. Es fällt mir schwer zu verzeihen. Ich muss mich dazu überwinden. Meine Emotionen würden mich lieber zur Rache überreden. Ja, ich gebe es zu: ich liebe es nicht zu verzeihen. Und ich glaube, den meisten von uns geht es ähnlich. Aber wir dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen diese menschliche innere Abneigung gegen das Verzeihen nicht auf Gott übertragen. Gott ist anders. Er liebt es zu verzeihen. Er hat Gefallen daran, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Im Neudeutschen müssten wir wohl pointiert sagen: Gott hat Spaß daran, Menschen zu vergeben. Er tut das liebendgern! Denken wir daran, wenn wir uns das nächste Mal mit einem schlechten Gewissen vor Gott plagen und uns fragen: Darf ich wiederkommen mit derselben Schuld? Ja, das darf ich. Gott mag das und Gott liebt es, mir zu vergeben - immer und immer wieder.

 

2. Gott ist nicht nachtragend

Micha beschreibt Gottes Vergebung mit zwei wunderschönen Bildern:
Das eine: Wenn ich meine Schuld zu Gott bringe, dann besteht Gottes Vergebung darin, dass er - ganz bildlich ausgedrückt - im Himmel so lange auf dieser Schuld herumtrampelt, bis sie wirklich platt ist und im Staub zermalmt. Gott ist ziemlich schwer und wenn er mit er mit seinen Füssen auf meiner Schuld herumtrampelt, dann bleibt wirklich nichts mehr davon übrig. Übersetzt sagt dieses Bild: Was Gott vergibt, ist wirklich vergeben und er trägt es mir nicht hinterher. Vor seinem Herzen darf ich dann wirklich weitergehen als ob nie etwas geschehen wäre.

Das sagt auch das zweite Bild: Gott versenkt meine Schuld ins tiefste Meer. Der tiefste Punkt in den Ozeanen ist der Mariannengraben. 11 km tief. 2 km tiefer als der Mt. Everest hoch ist. Wenn meine Sünde nach dort unten versenkt worden ist, dann ist sie wirklich weg und keine noch so lange Angel des schlechten Gewissens darf sie dort noch erreichen. Gott vergibt anders als wir Menschen. Wenn Gott vergibt, dann ist diese Schuld wirklich weg und er wird sie uns nie mehr wieder vorhalten.

Aber eines müssen wir doch schließlich festhalten:

3. Gottes Verzeihen zielt auf Veränderung

Dass Gott das Verzeihen so liebt heißt nicht, dass er die Schuld liebt und es ihm egal ist, wenn wir etwas Falsches tun. Im Gegenteil: Gott hasst die Sünde. Und sein tiefster Wunsch ist es, dass wir davon lassen. Und das ist auch das Ziel all seines Vergebens. Er will unsere Veränderung. Und wenn er uns vergibt, dann tut er es vor allem, um uns die Chance zu eröffnen, es in Zukunft besser zu machen. Gottes verzeiht uns, damit wir umkehren können, damit wir den Rücken frei haben, um es in Zukunft ganz anders und besser zu machen.
Meines Erachtens machen wir Christen in Bezug auf den Zusammenhang von Umkehr und Vergebung in der Regel einen großen Denkfehler: Wir meinen die Umkehr wäre grundsätzlich Vorrausetzung dafür, dass uns Gott vergibt. Wenn ich aber das anschaue, was Jesus vorgelebt hat, sehe ich etwas anderes: Jesus vergab, um überhaupt einen Weg zur Umkehr und Lebensveränderung zu eröffnen. Zachäus bekam das z.B. zu spüren oder die Ehebrecherin in Johannes 8. Und ich könnte da noch viele Beispiele anfügen. Gottes Verzeihen eröffnet Lebensveränderung. Weil er uns vergibt, können wir das Leben und die Liebe neu wagen. Amen

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