Text der Predigt zum Sonntag Exaudi am 24. Mai

24.05.2020

Mich erstaunen immer wieder Umfragen darüber, was unsere Zeitgenossen noch über die Inhalte der christlichen Feiertage wissen. Da gibt es bei Weihnachten noch eine relativ hohe Trefferquote - obwohl die inzwischen auch schon ganz schön bröckelt. Bei Ostern und der Auferstehung Jesu wird das Wissen dann aber schon beträchtlich dünner und bei Pfingsten, da hört es fast auf. Doch die Spitze der Unkenntnis finden wir wohl in Bezug auf das Himmelfahrtsfest, das wir am vergangenen Donnerstag feierten. Selbst viele praktizierende Christen werden wohl recht wenig mit dem Inhalt dieses Festes anfangen können.

Dabei ist doch die Himmelfahrt Jesu sogar ausdrücklicher Bestandteil unseres Glaubensbekenntnisses, wo es heißt: "aufgefahren in den Himmel". Aber was um alles in der Welt ist damit gemeint? Welche Bedeutung soll dieser Artikel für unseren Glauben haben? Ja, noch mehr, welche Bedeutung hat die Himmelfahrt Jesu für mich, Clemens Klingel? Darüber will ich heute mit euch nachdenken. Und ich will das in zwei großen Blöcken tun. Zunächst soll es um den Himmel gehen und dann um die Himmelfahrt.

1. Also befassen wir uns erst einmal mit dem Schlüsselbegriff "Himmel". Was ist damit im biblischen Sinne gemeint?

In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts traf der amerikanische Astronaut Glenn einmal den sowjetischen Kosmonauten Titow. Mit einem süffisanten Lächeln fragte der Russe damals den Amerikaner: "Und, sind Sie vielleicht auf ihrem Raumflug dem lieben Gott begegnet?" Glenn antwortete: "Der Gott, an den ich glaube, ist nicht von der Art, dass man ihn aus der Luke eines Raumschiffes sehen könnte."

Wir lächeln über diese Episode und spüren, wie sehr der russische Kosmonaut einer sehr naiven, räumlichen Vorstellung vom Himmel auf den Leim gegangen ist. Er dachte ähnlich naturalistisch über geistliche Dinge wie der berühmte Pathologe Rudolf Virchow, der einmal gesagt hat: "Ich habe schon unzählige Leichen seziert, aber darin nie eine Seele gefunden." Klar findet man auf diese Weise keine Seele, weil sie kein räumliches, sondern ein geistig-psychisches Gebilde ist.

Was ist im biblischen Sinne mit "Himmel" gemeint?

In Psalm 2 heißt es, dass "Gott im Himmel wohnt". Aber mit diesem Himmel ist doch nicht der Luftraum über uns gemeint! Das, was etwa die Meterologen auf ihren Wetterkarten darstellen oder die Astronauten mit ihren Raumschiffen durchfliegen - nein, hier ist ein ganz anderer Himmel gemeint, der Himmel im religiösen Sinn.

Die englische Sprache ist da präziser und unterscheidet zwischen "sky" und "heaven":
Es gibt zum einen den Begriff "sky" und damit ist eben genau dieses räumliche Gebilde Himmel gemeint, der Luftraum über uns. Kein englisch-sprachiger Mensch würde im Vaterunser beten: "Our father in the sky" Das klingt gruselig. Korrekt heißt es anders: "Our father in heaven". Und da sind wir beim richtigen Begriff für den Himmel im geistlichen Sinn: "heaven": Damit ist nicht der Weltraum gemeint, sondern die transzendente Dimension des Lebens, die göttliche Dimension.
Darum lautet das Glaubenbekenntnis an der Stelle der Himmelfahrt Jesu auch nicht: "he ascended into sky", sondern "he ascended into heaven".

Wenn wir über Himmelfahrt nachdenken, geht es also immer um diesen heaven. Aber wie können wir einigermaßen verständlich beschreiben, was das ist? Ich versuche es einmal so:
Der Himmel ist eine Dimension, eine Ausdehnung der Wirklichkeit, die unsere irdischen Dimensionen übersteigt.
Wir leben und denken ja dreidimensional - also Länge, Breite, Höhe.
Der Heaven ist so etwas wie eine vierte Dimension, die göttliche Dimension.
Wenn wir sagen, dass Gott im Himmel wohnt, dann sagen wir damit, dass Gott in einer ganz anderen Dimension zuhause ist, eine Dimension, die wir mit unseren dreidimensionalen Sinnen gar nicht fassen können, nicht sehen können, nicht hören können, nicht spüren können. Gott wohnt in einer anderen Wirklichkeit, die unsere Wirklichkeitserfassung übersteigt.

Dennoch wohnt Gott nicht außerhalb unserer Wirklichkeit. Im Gegenteil: Gottes Wirklichkeit umfasst und durchdringt unsere Wirklichkeit gänzlich. In Psalm 139 wird uns das sehr plastisch beschrieben: "Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir." Gottes himmlische Wirklichkeit verbirgt sich hinter allem, über allem, unter allem, in allem.
Gott ist gewissermaßen die Tiefe unseres Seins. Gott ist die Tiefe in allem Sein und hinter allem Sein.

Man kann darüber mit Worten nur stammeln. Die alten byzantinischen Maler fanden allerdings für dieses Unbeschreibbare auf ihren Bildern und Ikonen ein wunderbares Stilmittel. Sie malten den Himmel nicht blau sondern golden. Wenn sie eine Ikone gestalteten und ausdrücken wollten, wie sehr dieser Mensch mit Gott gelebt hat, dann malten sie den Hintergrund des menschlichen Antlitzes in goldener Farbe. Gold ist die Farbe für Gott. Damit drückten sie aus: Die Heiligen und auch wir alle, die wir durch Christus Geheiligte sind, leben auf dem Hintergrund der göttlichen Wirklichkeit. Wir leben nicht nur in diesem naturalistischen, körperlichen Zusammenhang unseres Seins, sondern auch auf dem Hintergrund der göttlichen Präsenz in unserem Leben.

Ich fasse noch einmal zusammen: Der Himmel im biblischen Sinn ist nicht irgendein oberer Raum, zu dem wir aufblicken, sondern es ist bildlich ausgedrückt der goldene, göttliche Hintergrund unseres Daseins.

Nun muss ich dazu aber noch eine Frage klären: Warum ist eigentlich dieser goldene, göttliche Hintergrund nur so wenig bis gar nicht wahrnehmbar? Manchmal blitzt ja schon etwas von Gottes Gegenwart in unserem Leben auf - vielleicht haben wir alle schon solche Momente gehabt. Aber in der Regel nehmen wir diese göttliche Dimension wenig bis gar nicht wahr.

Den Grund möchte ich uns am Beispiel dieser duftenden Rose erklären.
Wenn jemand ohne Geruchsinn behaupten würde: Clemens, diese Rose duftet ja gar nicht. Dann würde ich ihm sagen: Moment, du täuscht dich. Diese Rose duftet sogar wunderbar, aber - und das tut mir sehr leid - du hast nicht die Fähigkeit, sie zu riechen und deshalb kannst du leider ihren Duft nicht wahrnehmen.
Ähnlich ist es mit der Wahrnehmung Gottes: Wenn jemand ganz bestimmt sagt: Gott gibt es nicht, weil ich ihn nicht aus der Luke meines Raumschiffes gesehen habe, dann muss seine Behauptung noch lange nicht stimmen. Vielleicht liegt es eher an seiner Fähigkeit, Gott wahrnehmen zu können. Vielleicht fehlt ihm der Sinn für diese göttliche Dimension und transzendente Wirklichkeit. Vielleicht fehlt ihm das Riechorgan für Gottes Duftmarke...
Was ist aber dieses Riechorgan, was ist dieser siebte Sinn, der uns den Duft Gottes erschließen könnte? Es ist der Glaube. Der Glaube ist das Riechorgan, das uns einen Zugang zu Gottes Gegenwart eröffnen könnte. Der Glaube ist das Auge, das auch den goldenen Hintergrund unseres Daseins wahrzunehmen vermag. Es bleibt ein Tasten. Dennoch vermag es der Glaube, den Himmel zu erahnen.

Soweit meine Gedanken zum Thema "Himmel"

2. Nun kommen wir aber zum zweiten Begriff unseres Themas "Himmelfahrt".

Wir ahnen jetzt bestimmt schon, dass wir die Himmelfahrt Jesu nicht einfach naturalistisch verstehen dürfen. Die Himmelfahrt Jesu ist nicht so etwas wie sein Raketenstart in den Weltall. Oder die etwas sanftere Variante eines Wolkenaufzugs in den Himmel. Nein, wir müssen tiefer schauen und besser verstehen, was damit gemeint ist, dass Jesus vor den Augen seiner Jünger entschwunden und in den Himmel aufgenommen worden ist.

Und dazu müssen wir zuerst noch einmal darüber nachdenken, was da nach den biblischen Berichten vor der Himmelfahrt Jesu passiert ist:
Das Lukas-Evangelium endet mit dieser großartigen Botschaft, dass Jesus auferstanden ist. Aber Lukas fährt dann im zweiten Teil seines Geschichtsberichtes, den wir Apostelgeschichte nennen, mit dem Bericht fort, den wir eben gehört haben: Dass Jesus sich 40 Tage lang auf dieser Erde als der Auferstandene und Lebendige gezeigt hat. Paulus schreibt im Korintherbrief, dass er von 500 Menschen auf diese Weise gesehen worden ist.
Doch in welcher Gestalt erschien Jesu seinen Jüngern? Er muss einen konkreten Körper gehabt haben. Er zeigte z.B. seine Wundmale. Und Jesus aß mit ihnen. Und er lief sichtbar zwischen den beiden Emmausjüngern. Und er sprach überhaupt mit den Jüngern, es müssen also Schallwellen von ihm ausgegangen sein. Jesus hatte also offensichtlich in diesen 40 Tagen nach seiner Auferstehung keine Geistgestalt, oder war eine Art Luftprojektion, sondern er hatte einen echten Körper, er besaß eine echte Leiblichkeit.
Wenn es auch eine neue Leiblichkeit war. Er konnte z.B. durch verschlossene Türen gehen, er wurde manchmal erkannt, manchmal auch nicht. Aber klar ist, dass Jesus nach den biblischen Berichten tatsächlich in unseren irdischen Dimensionen - Länge, Breite, Höhe - wahrgenommen werden konnte.
Aber nun kommen wir wieder auf diese 40 Tage zurück. Diese Zeit war begrenzt. Nach den 40 Tagen wurde Jesus dann, so heißt es, in den Himmel aufgenommen. Seitdem ist er nicht mehr in dieser irdischen Leiblichkeit gesehen worden. Warum? Ganz einfach, weil eben Jesus nun im Himmel ist, d.h. ganz in dieser göttlichen Dimension des Daseins. Jesus ist bei Gott. Er ist ganz in diese göttliche Sphäre erhöht worden.

Und jetzt kommt noch ein wichtiger Aspekt dazu: Heißt das, dass Jesus nun leider ganz weit weg ist von uns - entrückt in den fernen Weltraum. Nein, sondern genau das Gegenteil geschah dadurch: Jesus ist uns durch die Himmelfahrt noch näher gekommen, weil er nun ganz da ist im goldenen Hintergrund unseres Daseins.
In den begrenzten 40 Tagen nach Ostern konnte Jesus z.B. offensichtlich nur an einem Ort sein. Er konnte einmal der Maria begegnen und ein anderes Mal dem Simon Petrus. Aber das wohl hintereinander. Doch durch seine Aufnahme in den Himmel ist Jesus nun in dieser Dimension präsent, die unsere irdischen Dimensionen ganz durchdringt und umfasst. Jesus ist uns durch seine Himmelfahrt also in Wirklichkeit näher gekommen. Jesus ist jedem von uns nahe. Zur gleichen Zeit darf ich in Wallau in seiner Gegenwart sein, und ebenso auch Gudrun Kunstmann in Neuenhain oder Lydia Saul in Obernhain.
Himmelfahrt bedeutet: Jesus ist uns näher gekommen. Und damit er hat er seine Verheißung ganz wahr gemacht: "Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt."

Lasst uns das glauben und mit dem Sinnesorgan des Glaubens seine Gegenwart wahrnehmen. Noch leben wir im Glauben, aber eines Tages werden wir ihn schauen und begreifen, dass er uns in jedem Moment unseres irdischen Lebens nah gewesen ist - als unser Freund und Bruder, und auch als erhöhter Herr und Heiland.

Amen

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