Text der Predigt am Sonntag, den 22. November

PREDIGT "Zur ewigen Ruhe finden"

Liebe Gemeinde,
"Hier ruht in Frieden Angelika Klingel geb. Muschiol" - das steht auf dem Grabkreuz meiner verstorbenen Frau. Mittlerweile ist es zur fast täglichen Routine von mir geworden, dass ich auf den Friedhof gehe und an Angelikas Grab stehe. Nicht, weil das der Ort meiner Trauer wäre und ich mich dort Angelika irgendwie näher fühlte. Ich will da ganz ehrlich sein. Die Gedanken an sie kommen mir eher an Orten, die wir konkret geteilt haben, oder es kann z.B. sein, dass bestimmte Gerüche mich plötzlich wieder an sie erinnern, oder Lieder oder Gegenstände, ja, überhaupt: ihr Haus, in dem ich wohne, atmet eigentlich an allen Ecken und Enden Erinnerungen an sie. Und der Friedhof ist dabei wohl am wenigsten der Ort meiner Trauer. Dass ich dort so häufig bin, hat eher grabpflegerische Gründe. In diesem heißen Sommer musste z.B. fast täglich gegossen werden und irgendwie war in letzter Zeit in mir der Ehrgeiz erwacht, die unaufhörlich herabfallenden Blätter zeitnah vom Grab zu entfernen. Ich mache das natürlich auch wegen der Blicke der Leute, die gerne bewerten, wie es um das Grab steht, aber ich mach´s auch, weil ich den Eindruck habe, dass das Angelika wichtig gewesen wäre. Ja, und so stehe ich also sehr häufig vor ihrem Grab und dann lese ich diese Inschrift "Hier ruht Angelika Klingel" und ich denke dabei jedes Mal: Das stimmt doch einfach nicht! Hier liegen vielleicht die Überreste ihres verstorbenen Körpers. Aber ich weigere mich zu denken, dass dieses Grab und ihre darin verwesende Hülle nun das sein soll, was von Angelikas Existenz übriggeblieben ist. Für mich ruht Angelika nicht auf dem Friedhof in Wallau, sondern in Gottes Händen. Punkt.

In meinen Predigten über den Segen des Sabbats habe ich in den letzten Wochen viel über das Stichwort "Ruhe" gesprochen. Einen Aspekt habe ich dabei noch ausgespart, der aber auch ganz wesentlich für das Thema ist. Das ist die ewige Ruhe. Wir Christen sprechen davon, dass jemand, der stirbt, in die ewige Ruhe Gottes eingeht. Was ist damit gemeint? Wie sollen wir uns diese ewige Ruhe vorstellen und wo soll das sein, wo Angelika nun ruht oder auch Walter Kunstmann oder Else Harms oder alle, die in Christus gestorben sind? Über diese Fragen möchte ich heute nachdenken.

Aber ich muss dazu erst noch eine Vorbemerkung machen. Ich werde uns in dieser Predigt nicht sagen können, wie das einmal genau sein wird nach unserem Tod. All das, was ich sagen werde, kann höchstens eine vorsichtige und unvollständige Annäherung an das sein, was uns in der Bibel an Bildern und Formulierungen über das ewige Leben überliefert ist. Und die biblischen Aussagen sind immer auch nur in Menschenworte und Menschenvorstellungen gekleidete Annäherungen an etwas, was noch kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat. Wenn es so ist, dass unsere Verstorbenen wirklich bei Gott sind, dann sind sie bei ihm in einer Wirklichkeit, die unsere Wirklichkeit unendlich übersteigt. Wir können diese Wirklichkeit nicht mit unserem kleinen Denken und unseren irdischen Raum-Zeit-Kategorien erfassen. Wir können höchstens etwas von dem erahnen, was uns einmal in der Ewigkeit erwarten wird. Aber ganz sicher wird das einmal komplett anders sein, als wir uns das je vorgestellt haben.

Zurück wieder zum Anfang. Mein Glaube ist, das Angelika am 26. Mai 2019 in die ewige Ruhe Gottes eingegangen ist.
Dieser Begriff der ewigen Ruhe geht zurück auf einen Abschnitt aus dem Hebräerbrief, Hebräer 4, 1-11, wo auch von der Ruhe als letztem Ziel unseres Lebens gesprochen wird. Dabei wird uns bildlich das Volk Israel vor Augen geführt, das nach der Befreiung aus Ägypten 40 Jahre lang durch die Wüste irrte auf der Suche nach dem verheißenen Land. 40 Jahre lang sehnten sie sich nach der Ruhe, die sie dort zu finden erhofften. "Endlich frei sein - mein eigenes Land bebauen, mein eigener Herr sein, die Trauben vom eigenen Weinberg ernten!" Das Wort "Ruhe" bezeichnet im Hebräerbrief den Inbegriff aller hoffnungsvoller Erwartungen auf die Zukunft Gottes. Das, was Jesus uns als das kommende Reich Gottes vor Augen malt, komprimiert der Hebräerbrief in diesem Begriff "Ruhe Gottes". Ruhe bedeutet "Endlich-ans-Ziel-Kommen". Ruhe bedeutet die Erfüllung der Verheißung erleben. Und Ruhe ist auch ein ganz aktiv besetzter Begriff. In ihm schwingt nichts von Grabesruhe mit, oder von gelangweilter Passivität, sondern Ruhe bedeutet Leben in Fülle, Freude, Überschwang. Das alles müssen wir wissen, wenn uns im Hebräerbrief die ewige Ruhe als Ziel unseres Lebens vor Augen geführt wird.

Und genauso ist ja eigentlich auch die Ruhe Gottes im biblischen Schöpfungsbericht beschrieben. Wenn es dort von Gott heißt, dass er am siebten Schöpfungstag von all seinen Werken ruhte, so ist das nicht als ein erschöpftes Zurücklehnen zu denken oder als überdrüssiges Abschalten, sondern Gott verschaffte sich Ruhe, um sich am prallen Reichtum seiner Schöpfung zu freuen. Ich stelle mir bildlich vor, wie Gott am Ruhetag über die Erdmännchen herzlich lacht, die neugierig aus ihren Löchern linsen, oder den Blauwal bestaunt, der majestätisch das Meer durchpflügt, und er freut sich am Alpenglühen und bunten Korallenriff, am Babylachen und jeder Menschenschönheit. Gott ruht, um sich gewissermaßen mitten ins pulsierende Leben seiner Schöpfung zu begeben und sich daran zu freuen. Und ich glaube, diesen lebensfrohen Charakter wird wohl auch die ewige Ruhe haben, die uns am Ende unserer Tage einmal erwartet..

Ja, und auch die Bilder, mit denen Jesus uns die Ewigkeit beschreibt, atmen dieses pulsierende Leben: Jesus erzählt in Bezug auf das kommende Reich Gottes von einem Hochzeitsfest, Bilder von Gesang, Tanz, Essen und Trinken werden in uns lebendig, oder er erzählt vom Jubel über einen überraschend gefundenen Schatz, oder von gefüllten Fischernetzen oder von Vogelscharen, die die Zweige einer riesigen Staude bevölkern, die aus einem winzigen Senfkorn entstanden ist. So lebendig erzählt Jesus bildlich vom kommenden Reich Gottes. Und so lebendig müssen wir uns wohl auch diese ewige Ruhe vorstellen, die uns im Hebräerbrief als Hoffnung vor Augen geführt wird.

Der Karmelitermönch Wilfried Stinnisen brachte das einmal so auf den Punkt: "In der ewigen Ruhe pulsiert das Leben." Uns erwartet einmal nicht lustloses Harfespielen auf einer Wolke oder schläfrige Langeweile in einem sterilen Himmel, sondern das Leben in Fülle. Wir können uns gerne einmal an die schönsten Augenblicke unseres Lebens erinnern - in der Ewigkeit wird es noch schöner sein. Wir können uns gerne die schönsten Orte vor Augen führen, die wir kennengelernt haben - in Gottes ewigem Reich wird es noch schöner sein.

Halleluja, und dort ist nun Angelika angekommen! Sie darf jetzt dort in der liebender Gegenwart ihres Herrn Jesus Christus aufatmen und das ewige Leben in vollen Zügen genießen.

Doch muss ich diese Aussage gleich schon wieder korrigieren. Das "Jetzt" stimmt nicht. Die Vorstellung, dass das alles schon geschehen wäre - dieser Übergang ins Land des ewigen Lebens. So würde ich es mir zwar wünschen. Dass Jesus Angelika am Morgen des 26.Mai 2019 schon direkt ins Land der Auferstehung und des ewigen Friedens geführt hat. Doch das Neue Testament malt uns da noch einen Zwischenschritt vor Augen. Einen Zwischenabschnitt zwischen dem irdischem Abschied, dem Tod und der Auferstehung zum ewigen Leben. Sowohl das Johannesevangelium als auch die Paulusbriefe reden mehrmals davon, dass diejenigen, die in Christus sterben, erst dann zum ewigen Leben auferweckt werden, wenn Christus einmal in Herrlichkeit wiederkommt. Für die Zwischenzeit spricht die Bibel von denen, die "entschlafen sind". Das heißt: Angelika wäre noch gar nicht am Ziel ihrer Hoffnung angekommen. Sie schläft jetzt.
Wo? frage ich mich. Im Grab in Wallau bestimmt nicht. Wo aber dann? Darüber habe ich ehrlich gesagt noch nichts Konkretes in der Bibel gefunden - falls jemand was weiß, würde mich das sehr interessieren. Aber es kann doch nur sein, dass Angelika in Gottes Wirklichkeit ruht. Nicht hier auf dieser Erde, das ist vorbei, jetzt ist sie bei Gott, in seiner Wirklichkeit. Und dort ruht sie nach dem Zeugnis der Schrift bis Jesus sie bei seiner Wiederkunft einmal auferwecken wird mit allen, die in ihm verstorben sind.

Aber mal ehrlich: Dieser Gedanke des Ruhens in Gott bis zur Wiederkunft Christi macht mich eigentlich schon traurig. Denn ich wünschte Angelika so sehr, dass sie schon am Ziel ist. Das scheint nicht so zu sein. Oder doch?

Ich habe über dieses zwischenzeitliche Ruhen in Gott noch weiter nachgedacht. Und dabei ist mir folgendes in den Sinn gekommen. Wir alle kennen doch dieses Phänomen, dass im Schlaf die Zeit irgendwie anders vergeht. Bei einem guten Schlaf ist das doch eigentlich so, dass wir Abends einschlafen und wenn wir morgens dann wieder aufwachen ist es, wie wenn nur ein Augenblick vergangen wäre. Im Erleben der Schlafenden vergeht eigentlich gar keine Zeit zwischen Einschlafen und Wiedererwachen. Und ich denke: Vielleicht gilt das auch für diesen in der Bibel beschriebenen Zwischenschlaf der Verstorbenen. Vielleicht ist es für Angelika auch nur wie ein Augenblick, bis Jesus sie auferweckt zum ewigen Leben. Ja, ich bin mir da sogar ziemlich sicher. Denn wenn es so ist, dass die Verstorbenen in Gottes Wirklichkeit schlafen, dann gibt es ja dort schon nicht mehr die Kategorien von Raum und Zeit, die für uns gelten. 1000 Jahre sind in der göttlichen Wirklichkeit wie der Tag, der gestern vergangen ist. Das will sagen, dass die Kategorien der Zeit bei Gott nicht gelten wie für uns in der irdischen Wirklichkeit. Gott ist der Ewige, er ist zu allen Zeiten gleichzeitig. Und das nehme ich auch für alle an, die in ihm entschlafen sind. Darum gibt es für sie vielleicht gar keine wirkliche Zeit des Wartens mehr, sondern nur die Zeit der Erfüllung. Oder anders ausgedrückt: Aus Angelikas Perspektive ist es vielleicht nur ein Augenblick, bis Jesus sie wieder auferweckt und in sein himmlisches Reich führt.

Vielleicht denken jetzt einige: Das sind aber seltsame Gedanken, mit denen sich der Pastor da beschäftigt. Und sie haben damit auch nicht unrecht. Vor ein paar Jahren waren mir solche Fragen und Gedanken auch noch nicht gekommen. Aber das hat sich geändert seit Angelikas Tod. Da beschäftigen mich plötzlich diese Fragen näher, wo sie jetzt ist und wie es ihr dort geht. Aber wie gesagt sind das, was ich mir als Antwort zusammendenke und -suche, auch nur begrenzte und unvollständige Annäherungen an etwas, was kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat. Und eigentlich genügt mir unter dem Strich dann doch einfach der Glaube und die Gewissheit: Sie ist bei Gott und das genügt.

Wie wird das einmal für dich sein? Und für mich? Ist das auch die Perspektive unseres Lebens angesichts des sicher kommenden Todes? Eines ist mir bei der Beschäftigung mit den biblischen Aussagen zum Thema noch klarer geworden: Der Dreh- und Angelpunkt für alle Fragen das ewige Leben betreffend ist Jesus Christus.

Vor allem bei Paulus fällt das auf. Der Ausgangspunkt all seiner Gedanken zur Auferstehung und dem ewigen Leben ist nicht irgendeine Mutmaßung oder Spekulation. Der Ausgangspunkt ist Ostern. Der Ausgangspunkt ist Jesu Auferstehung am dritten Tage. Als "Erster der Verstorbenen", sagt Paulus. Und mit seiner Auferstehung hat eine ganz neue Zeit begonnen. So wie es bisher unser Schicksal war, dass wir sterben müssen, weil wir in der Ahnenreihe mit Adam stehen, sagt Paulus, so können wir jetzt unser Schicksal mit Jesus Christus verbinden. Und wenn wir das tun, dann wird der uns durch den Tod hindurch zum ewigen Leben führen.

Aber dieser Weg zum ewigen Leben ist eben kein Automatismus. So in der Schlagermanier: "Wir kommen alle, alle in den Himmel." Nein, dieser Weg ist an Jesus gebunden. Diese Zukunftsperspektive ist daran gebunden, dass wir unser Leben in Jesus Christus, dem Auferstandenen, festmachen. Dass wir gewissermaßen seine führende und rettende Hand ergreifen und diese Hand wird uns dann nie wieder loslassen. Weder im Leben noch im Tod, noch in einem wie immer vorzustellenden Schlaf der Verstorbenen. Wenn Jesus an unserer Seite ist, dann kann uns nichts passieren. Er bringt uns ans Ziel, er führt uns am Ende in Gottes wunderbares Reich und lässt uns die Schönheit eines neuen Himmels und einer neuen Erde erleben.

Noch einmal, dieser Weg ist kein Automatismus. Er ist an Jesus Christus gebunden, der gesagt hat: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Ich bin so froh, dass ich weiß, dass Angelika diese Hand Jesu mitten im Leben ergriffen hat, und ich weiß, dass diese Hand sie gehalten hat im schweren Prozess ihres Sterbens und ich bin gewiss, dass diese Hand sie dann erst recht aufgefangen und gehalten hat, als ich ihre Hand endgültig loslassen musste. Und wie immer dieser Weg auch genau aussieht - Jesus wird sie ans Ziel bringen.

Es ist so wichtig, dass auch du diese Hand ergreifst. Es ist das Beste, das du tun kannst. Und wenn du es noch nicht getan hast, dann tu es heute, vielleicht mit dem Gebet, das ich nun bete.

Jesus Christus, du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Irgendwie übersteigt das alles meine Vorstellungskraft, wie das einmal ausgehen und weitergehen wird mit unserem Leben. Aber eines wird mir immer klarer. Du bist der Dreh- und Angelpunkt von allem. Du streckt uns bildlich deine Hand entgegen und wenn wir deine Hand ergreifen, dann wirst du uns nie mehr wieder loslassen oder fallenlassen. Nichts kann uns dann mehr trennen von deiner Liebe. Weder Leben noch Tod. Und du bist der Auferstandene, bist uns vorangegangen in die Ewigkeit. Und du willst und kannst uns einmal zu dir holen. Und dann werden wir lachen und uns freuen und am Ziel sein. Danke, dass wir dir unsere Verstorbenen anvertrauen dürfen. Danke, dass Angelika und Walter Kunstmann und Else Harms deine Hand ergriffen haben. Danke, dass wir sie so getrost loslassen und deinem Frieden überlassen dürfen.
Wir sind noch unterwegs zum Ziel. Wir wissen, dass der Tod auf uns wartet. Uns ist klar, dass wir nur in dir und mit dir den Weg finden, wenn unsere letzte Stunde einmal da ist. Viele von uns haben schon längst deine Hand ergriffen und setzen ihr Vertrauen auf dich. Du kennst diejenigen unter uns, die in diesem Augenblick spüren, dass sie das auch tun möchten. Und du siehst, wie sie jetzt in Gedanken ihre Hand dir entgegenstrecken. Und du ergreifst bildlich ihre Hand und sprichst: Alles wird gut, hab keine Angst, ich bin bei dir. Nichts kann dich mehr aus meiner Hand reißen. Vertraue!
Danke, dass du der Herr bist, Jesus Christus, gestern, heute und in alle Ewigkeit. Amen

Zurück