Text der Predigt am Sonntag, den 20. September

20.09.2020

PREDIGT zu Genesis 2, 4b-9.15

4b Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. 5Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. 7Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. 8Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. 15Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Liebe Gemeinde,
das ist doch ein absolut bewegender Moment am Anfang unseres Lebens: Die Hebamme hält das gerade Neugeborene in ihren Händen und gibt ihm einen leichten Klaps auf den Rücken. Und jetzt sollten sich seine Lungenflügel entfalten und das Baby seinen ersten Atemzug tun. Wehe, wenn der Atem ausbleibt, dann bekommt man Panik, denn es droht Lebensgefahr. Aber dann kommt der erste Schrei und das Baby begrüßt die Welt. Es atmet und ist bereit für den Weg ins Leben. Atem ist Leben.
Erinnern wir uns noch an diesen wundervollen Bibelvers, den wir gerade eben hörten? Haben wir noch diese wundervolle Szene vor Augen, wie Gott den Menschen formt aus Staub von der Erde und ihm dann seinen Lebensodem einhaucht? So beginnt das Leben. Atem ist Leben, von Gott geschenktes Leben.

Und dann gibt es noch diese andere schwere Wahrheit am Ende unseres Lebens, wenn uns der Atem ausgeht. Da liegt Angelika, meine Frau, in der Nacht ihres Sterbens neben mir im Bett und sie wendet sich mit letzter Kraft mir zu und atmet ein letztes Mal ganz tief und lang aus. Haucht ihr Leben aus. Und ich weiß, jetzt ist ihr irdischer Weg zu Ende. Atem ist Leben. Aufhören zu atmen beendet das Leben.

In Psalm 104, 27-30 heißt es: 27 Es wartet alles auf dich, Gott, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. 28 Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt. 29 Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub. 30 Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu das Antlitz der Erde.

Atem ist Leben. Jeder Atemzug ist Geschenk, Gottesgeschenk. Am liebsten würde ich jetzt mit uns allen eine Übung machen. Dass wir still werden und einfach nur darauf achten, wie bei jedem Atemzug Luft in uns einströmt. Und wir können uns dann bei jedem Atemzug bewusst machen: Hier strömt das Geschenk des Lebens in mich hinein. Jeder Atemzug ist Geschenk Gottes zum Leben.

Warum erzähle ich das alles: Ich möchte uns bewusst machen, dass unser heutiger Predigttext mehr ist als eine nette, aber von Erwachsenen belächelte Kindergartengeschichte von der Entstehung des ersten Menschen. Und es ist auch keine naturwissenschaftliche Abhandlung darüber, wie Gott einen ersten Menschen namens Adam geschaffen hat. Ihr könnt diesen Bibelabschnitt gerne so hören. Aber ihr nehmt euch damit die Chance, wirklich zu verstehen, was für eine tiefe und existenzielle Wahrheit durch diese Verse weht und was uns hier ganz grundsätzlich über das Geheimnis unseres Lebens und unseres Menschseins erzählt wird.

Die biblischen Texte von 1. Mose Kapitel 1 bis Kapitel 11 werden normalerweise als Urgeschichten bezeichnet. Ich benenne sie gerne anders. Es sind eigentlich Immer-Geschichten. Sie erzählen uns etwas darüber, was unser Leben grundsätzlich ausmacht. Sie erzählen nicht nur etwas darüber, was am Anfang war, sondern sie halten uns gewissermaßen einen Spiegel vor und zeigen uns, was ist und was immer wieder passiert. Und in unserem heutigen Predigttext werden uns im Grunde genommen ganz tiefe Wahrheiten über unsere Existenz vor Augen gemalt.

Die erste Wahrheit habe ich schon benannt: Atem ist Leben. Geschenkter Lebensatem. Von Gott geschenktes Leben.
Die zweite Wahrheit ist nicht so schön. Wir sind im Grunde genommen Staub, oder wissenschaftlich ausgedrückt: Wir sind Materie. Eigentlich nichts anderes als Materie. Aus Staub sind wir gemacht und wir werden wieder zu Staub werden. Unser Körper besteht von der Substanz her betrachtet zum größten Teil aus Wasser vermischt mit einigen anderen Bestandteilen. Natürlich ist uns klar, dass diese Materie so genial geschaffen, geformt und organisiert ist, dass unser Körper diesen wunderbaren Organismus bildet, der jetzt hier in diesem Raum sitzt. Aber so genial unser Körper auch aufgebaut ist, er ist strenggenommen nichts anderes als Materie.

Und jetzt hören wir wieder auf Vers 7 in unserem Predigttext: Dort heißt es: "Und Gott, der Herr, machte den Menschen aus Staub von der Erde." Das hebräische Wort, das hier im Urtext für Mensch steht, ist "Adam". Und, wisst ihr, was das hebräische Wort ist, das hier für Erde steht? Es ist "Adamah". Der Adam ist also der "aus der Adamah Entstandene", der "von der Adamah Genommene". Das gilt für uns alle, wir sind erst einmal nichts anderes als Materie, wenn auch sehr genial organisierte Materie.

Doch dann kommt in der zweiten Hälfte von V. 7 diese großartige Botschaft: Und Gott hauchte dem Adam seinen Lebensodem ein und so wurde diese zur menschlichen Gestalt geformte Erde zum lebendigen Wesen.
Im Urtext steht hier der Begriff: Der Adam wurde zu einem "nephesch haja", was soviel bedeutet wie: "beseeltes Lebewesen". Geformte Erde wird durch Gottes Atem zu einem lebendigen Wesen.

Frage: Was macht einen Menschen eigentlich zum Menschen?
Das ist die Grundsatzfrage, die in unserem Bibeltext Antwort findet. Ja, jeder Mensch ist ein genial zusammengesetzter und wunderbar funktionierender Organismus. Aber macht das schon unser Menschsein im vollumfänglichen Sinn aus? Wir sind heute in der Lage, mithilfe von künstlicher Intelligenz Roboter zu schaffen, die immer selbstständiger funktionieren und sogar lernfähig sind. Was ist da der Unterschied zu einem menschlichen Wesen?

Die Antwort wird uns in V.7 wunderbar bildlich vor Augen gestellt: Gott bläst diesem Organismus Mensch seinen Lebensodem ein und das macht ihn zum "nephesch haja" zum "beseelten Lebewesen"
Und das ist diese eindrückliche Botschaft, die über deinem und meinem Leben steht:
Es ist Gott, der uns erst das wirkliche Leben einhaucht,
ein Leben, das mehr ist als ein mehr oder weniger reibungslos ablaufender biologischer Prozess.
Wir sind mehr als unser Körper,
wir sind von Gott geschaffen und gewollt
als wunderbare Einheit von Seele, Geist und Leib.
Und als solche sind wir einzigartige Individuen,
Ebenbilder Gottes,
zur freien Entscheidung fähig,
nicht willenlose Triebwesen,
nicht mechanisch ausführende künstliche Intelligenzien,
sondern fühlende, denkende, entscheidende Kreaturen.

All das steckt für mich in diesem großartigen Bild, dass Gott dem Menschen seinen Lebensodem einhaucht und er so zum "nephesch haja" wird. Dort, wo dieser göttliche Lebensatem in unseren stofflichen Körper eingeht und sich mit uns verbindet, dort werden wir zu lebendigen Wesen.

Das ist mehr als eine Ur-geschichte, sondern das ist eine Immer-geschichte, deine und meine Lebensgeschichte. Und jeder Atemzug könnte uns eigentlich an dieses wunderbare Lebensgeheimnis erinnern. Gott schenkt uns seinen Lebensodem und darum sind wir die, die wir sind.

Aber wenn wir das begreifen, dann begreifen wir auch, wie eng verwoben unser Leben in Wahrheit mit Gott ist. Das ist die vierte Wahrheit, die mir unser Predigttext bewusst macht. Wir leben in Gottes Da-Sein, in Gottes Gegenwart.

Dazu muss ich wieder auf den hebräischen Urtext hinweisen. Im ersten Schöpfungsbericht 1. Mose, Kapitel 1, wo die Erschaffung der Erde in sieben Tagen beschrieben wird, steht durchweg für Gott der Begriff "Elohim". Dieser Begriff für Gott ist eher abstrakt zu hören, eher wie eine Gattungsbezeichnung für Gott: Vielleicht sind die ersten Verse der Bibel deshalb eher so zu übersetzen: "Der Gott" schuf Himmel und Erde. Also mit diesem recht unpersönlichen Begriff "der Gott".
Im zweiten Schöpfungsbericht, 1.Mose, Kapitel 2+3, steht plötzlich durchweg ein ganz anderer hebräischer Begriff für Gott, und zwar sein Eigenname: "Jahwe Elohim". Bei Luther mit "Gott, der Herr" übersetzt. Und das ist ein riesiger Unterschied: Denn Jahwe ist der Eigenname Gottes, den er Mose offenbart hat. "Wer bist du, wie ist dein Name?" fragte Mose. Gott antwortete: Ich bin "Jahwe", der "Ich bin, der ich bin" könnte man diesen Namen übersetzen. Aber auch weitergehend mit: "Ich bin der für dich Da-Seiende", oder ganz schlicht: "Ich bin bei dir und mit dir." "Jahwe Elohim" ist der "Immanuel", wie er sich dann endgültig in seinem Sohn Jesus Christus offenbart hat. "Gott mit uns" heißt das.

Und dieser persönliche Gott, der ist derjenige, der dem Menschen seinen Lebensatem einhaucht. Nicht irgendein gesichtsloser Schöpfergott, sondern Jahwe ruft den Menschen in seinem Menschsein ins Leben. Auch dich und mich. Jahwe haucht uns den Lebensodem ein, der, dessen Name bedeutet, "Ich bin da" "ich bin mit dir". Das ist das tiefste Geheimnis, das über unserem Leben steht: Wir leben in Gottes Da-Sein, in Gottes Gegenwart. Paulus sagt: "Gott ist keinem von uns ferne. In ihm leben, weben und sind wir." (Apg. 17)

Das ist einerseits wunderbares Geschenk, andrerseits aber auch unsere menschliche Bestimmung: dass wir in einer bewussten Gemeinschaft mit Jahwe leben. Davon erzählt in so schöner Weise diese Paradieserzählung von 1. Mose 2 und 3. Wie Gott abends, wenn es kühler geworden ist, durch den Garten Eden spaziert und ganz selbstverständlich mit Adam und Eva kommuniziert. Auf so eine ganz selbstverständliche Gottesbeziehung ist unser Menschsein angelegt. Mit Immanuel auf Du und Du.

Dass wir diese Intimität gegenüber Gott verloren haben, das ist eine andere Immer-Geschichte, die nach unserem Predigttext folgt. Aber dennoch muss gesagt werden: Diese Intimität mit Jahwe ist und bleibt unsere Lebensbestimmung. Und darum hat Gott durch seinen Sohn Jesus Christus von seiner Seite her diese Intimität wieder hergestellt. Und ich bin davon überzeugt, dass der unsichtbare Gott in diesem Moment jeden von uns mit liebevollen Augen anschaut und sich von ganzem Herzen wünscht, dass auch wir unsere Herzen für ihn öffnen und mit ihm so selbstverständlich durchs Leben gehen, wie Adam und Eva im Garten Eden. Von seiner Seite her ist der Weg dafür offen, Jesus Christus hat alles Trennende weggenommen. Es liegt an uns, dass wir uns öffnen für das Vertrauen in Gottes liebendes Da-Sein.

Nun spricht der Pastor allerdings schon die ganze Zeit von diesem liebenden und für die Menschen da-seienden Gott. Wo wird das konkret? Lasst uns schließlich die fünfte Wahrheit anschauen, die uns unser Bibeltext über unser menschliches Dasein offenbart..

8Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. 15Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Wie gesagt, das ist eine Immer-Geschichte. Nicht nur, dass wir überhaupt leben, ist Geschenk, sondern auch alles, was uns zum Leben gegeben ist. Wenn im Bibeltext geschildert wird, wie Gott diesen Garten für den Menschen anpflanzt und was für einen Garten das ist, in den er dann den Menschen setzt, dann müssen wir diese Schilderung mit den Ohren eines Menschen hören, der in den kargen und trockenen Wüstenlandschaften des Nahen Ostens lebt. Gott pflanzt Bäume. Bäume sind etwas vom Kostbarsten, das es gibt. Nicht nur für einen Wüstenmenschen. Wir spüren das auch immer mehr, wenn unsere Wälder durch den Klimawandel sterben und brennen. Bäume brauchen Wasser, Bäume wachsen nur dort, wo es Wasser gibt. Und so ist dieser Garten in Eden ein nochmals kostbarerer Ort. In den Versen 10-14, die ich nicht gelesen habe, werden vier Ströme beschrieben, die durch diesen Garten fließen. Es gibt dort also Wasser in Hülle und Fülle. Einen schöneren Ort kann sich ein Nomade nicht vorstellen. Und in diese Oase setzt Gott den Menschen hinein. Bis zum heutigen Tag. Die Welt, die uns umgibt, ist ein Paradies. Niemand von uns hat sie geschaffen. Sie wird uns geschenkt, wenn wir ins Leben treten. Niemand von uns hat diese Welt verdient, aber wir werden in sie hineingeboren, sie wird uns als Geburtstags-Geschenk gewissermaßen in die Wiege gelegt. Gott beschenkt jeden uns seit Jahren und Tagen mit Leben in dieser wunderbaren Welt. Sie ist nicht unsere Idee und unser Machwerk, sie ist Gottes Schöpfungswerk, uns zum Leben geschenkt.

Und da müssen wir uns noch fragen: Wo dieser in Liebe für uns da-seiende Gott für uns konkret wird? Mensch, mach die Augen auf und du begegnest auf Schritt und Tritt den Zeichen unseres liebenden und fürsorgenden Gottes!
Noch einmal: Die Welt ist uns vorgegeben. Wenn dieses Baby seinen ersten Lebensschrei von sich gibt, dann begrüßt es zugleich eine wunderbare Welt, in der es leben darf.

Doch, und das ist die sechste und letzte Wahrheit unseres Bibeltextes: Diese wunderbare Welt ist für uns nicht nur Geschenk, sondern zugleich auch Aufgabe. Gott setzt den Menschen in den Garten Eden, dass er ihn bebaut und bewahrt.

Bebauen sollen wir die Welt. Das heißt, wir dürfen von ihr leben und sie nutzen und von ihr profitieren. So wie ein Gärtner seinen Garten bebaut und dann die Früchte daraus erntet und genießt, von seinem Garten lebt.

Aber wir sollen die Welt auch bewahren. So wie ein Gärtner, der seinen Garten hegt und pflegt und schützt, damit er immer dieser schöne Garten bleibt.
Doch genau da haben wir Menschen offensichtlich ein Problem. Wir verwechseln das bebauen mit ausbeuten. Und das bewahren mit aussaugen. Wir gleichen einem Gärtner, der seine Früchte so von seinen Baum erntet, dass er den ganzen Baum umhaut, um leichter an die Früchte zu kommen. Wir verbrauchen den Garten Eden und nehmen uns damit unsere eigenen Lebensgrundlagen. So war das nie gedacht in Gottes Schöpfungsplan. Dafür hat uns Gott nicht als intelligente Wesen geschaffen, dass wir so dumm und kurzsichtig und selbstzerstörerisch mit seiner Schöpfung umgehen.

Ich sehe hier Bilder von Menschen vor mir, die entdeckt haben, dass, wenn sie einen Wald anzünden, die Tiere alle aus dem Wald herauslaufen. Und dann brauchen sie nur noch am Waldrand warten und die Tiere empfangen und abschlachten. So intelligent sind wir. Wir zünden einen Wald an, um leichter ans Essen zu kommen. Wir hauen den Baum um, um leichter an seine Früchte zu kommen. Das ist die Art, in der wir heute im großen Stil leben.

Gott hat es anders vorgesehen: Bebauen und bewahren sollen wir die Schöpfung. Lasst uns alle miteinander überlegen, wie wir umkehren können, nicht nur mit Worten, sondern auch mit persönlichen Taten, um diesem Schöpfungsauftrag als Menschen wieder gerecht werden können.
Geschaffen sind wir Menschen, um an Gottes statt den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren.

Das waren die sechs Wahrheiten unseres Bibeltextes:
1. Atem ist Leben.
2. Wir sind Staub.
3. Durch den Lebensodem Gottes werden wir zu "nephesch haja"
4. Wir leben in Gottes Da-Sein, mit Immanuel auf Du und Du.
5. Gott setzt uns in eine wunderbar paradiesische Welt hinein
6. Bebauen und bewahren sollen wir den Garten Eden.

Dank sei Gott für diese wunderbaren Wahrheiten, die über unserem Leben stehen! Amen

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