Text der Predigt am Sonntag, den 20. Dezember

Liebe Gemeinde,

nun ist es nur noch eine kurze Zeit bis Heiligabend. Und ich bin mal ehrlich: bei mir zuhause sieht es kein Milligramm weihnachtlich aus. Kein Baum, keine Krippe, kein Schmuck, keine Kerzen... Und auch mit den Geschenken sieht es mau aus. Ich habe noch keine!
Ich konnte in diesem Jahr einfach keinen Zugang zu all diesen traditionellen Formen finden, die wir normalerweise mit dem Weihnachtsfest verbinden. Da war corona-bedingt wie so eine Blockade in mir. Dabei schlagen da zwei Seelen in meiner Brust. Einerseits plagt mich diesbezüglich ein fürchterlich schlechtes Gewissen und ich schäme mich für mein Verhalten. Andrerseits frage ich mich trotzig: Ist die Botschaft von Weihnachten wirklich abhängig von diesen äußeren Formen und Traditionen, die wir uns mit den Jahren angeeignet haben? Muss Weihnachten dieses Jahr wirklich ausfallen, weil kein Christbaum in meinem Wohnzimmer steht und der Weihnachtsbraten kleiner ausfällt? Natürlich nicht. Denn es geht doch an Weihnachten nicht um all diese äußeren Dinge, sondern um die wunderbare christliche Botschaft, dass Gott Mensch wurde. Dass Gott zu uns gekommen ist in seinem Sohn Jesus Christus. Dass Gott uns besucht hat, um uns die Erlösung zu schenken, nach der wir alle uns so sehr sehnen.
Nicht die äußeren Formen machen Weihnachten aus, sondern es ist die Botschaft, dass der allmächtige Gott in seinem Sohn Jesus Christus zu uns gekommen ist.

Und da bin auch schon beim Predigttext gelandet, der für den heutigen Sonntag vorgeschlagen ist. Er kam mir auf den ersten Blick auch sehr un-adventlich und un-vorweihnachtlich vor, aber beim zweiten Blick habe ich dann schnell verstanden, dass es darin ja eigentlich genau um das geht, wovon die Botschaft von Weihnachten erzählt: Gottes Kommen in diese Welt. Nicht erst in Jesus Christus ist Gott den Menschen begegnet, sondern immer wieder auch schon in uralten Zeiten. Auf geheimnisvolle Weise und oft in unerkannter Gestalt. Wir hören heute von einer Gottesbegegnung, die Abraham und Sara vor vielen tausend Jahren widerfahren ist.

1. Mose 18, 1-14
1Und der HERR erschien Abraham im Hain Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war.
2Und als er seine Augen aufhob und sah, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Und als er sie sah, lief er ihnen entgegen von der Tür seines Zeltes und neigte sich zur Erde
3und sprach: Herr, hab ich Gnade gefunden vor deinen Augen, so geh nicht an deinem Knecht vorüber.
4Man soll euch ein wenig Wasser bringen, eure Füße zu waschen, und lasst euch nieder unter dem Baum.
5Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie sprachen: Tu, wie du gesagt hast.
6Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Eile und menge drei Maß feinstes Mehl, knete und backe Kuchen.
7Er aber lief zu den Rindern und holte ein zartes, gutes Kalb und gab's dem Knechte; der eilte und bereitete es zu.
8Und er trug Butter und Milch auf und von dem Kalbe, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb stehen vor ihnen unter dem Baum und sie aßen.
9Da sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete: Drinnen im Zelt.
10Da sprach er: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter der Tür des Zeltes.
11Und sie waren beide, Abraham und Sara, alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr ging nach der Frauen Weise.
12Darum lachte sie bei sich selbst und sprach: Nun ich alt bin, soll ich noch der Liebe pflegen, und mein Herr ist auch alt!
13Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Meinst du, dass es wahr sei, dass ich noch gebären werde, die ich doch alt bin?
14Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen übers Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben.

Eine eigenartige Gottesbegegnung ist das. Sie wirkt geheimnisvoll und irgendwie doppeldeutig auf mich. Waren die drei Männer jetzt Gott? Oder waren es Engel oder einfach nur Männer, denen Abraham Gastfreundschaft gewährt hat, und die ihm dann zu einer Art Gottesbegegnung geworden sind? Hat Abraham in den drei Männern Gott erkannt oder doch nicht so richtig? Diese Fragen bleiben mir vom Text her gesehen irgendwie unklar. Aber vielleicht ist das immer so, wenn Gott uns in unserem Leben aufsucht. Es ist nie so eindeutig wie das Klingeln des Postboten an der Tür. Es erfordert letzten Endes Vertrauen und Glauben, solch eine Begegnung auf Gottes Kommen hin zu deuten.
Trotz allem Unklaren sind mir dennoch vier Aspekte aus unserem Bibelabschnitt über Gottes Kommen sehr wichtig geworden, die ich nun mit ihnen teilen möchte.

1. Gott stört unsere Ruhe

Mitten in der Siesta ist Gott bei Abraham in Form dieser drei Männer aufgetaucht. In Vers 1 wird uns so schön beschrieben, wie Abraham in der größten Hitze des Tages vor seinem Zelt sitzt. Friedlich döst er da vor sich hin. Und es ist ja alles andere als angenehm, wenn man dann mitten aus seinem Mittagsschläfchen herausgerissen wird. Gott störte erst einmal Abraham mit seinem Besuch.

Viele Menschen stellen sich eine Gottesbegegnung eher so vor wie die Einladung zu einem Wellnesswochenende. Nicht falsch verstehen! Gott möchte uns in der Tat verwöhnen und meint es immer gut mit uns. Aber oft fühlt sich sein Kommen erst einmal ganz anders an: Es kann uns zutiefst verstören und aufschrecken. Gott reißt uns vielleicht raus aus unseren Träumen oder unserem gewohnten Trott. Vielleicht aus Traditionen heraus, die einer wahren Begegnung mit ihm im Wege stehen. Vielleicht aus festzementierten Überzeugungen heraus, aus falschen Bildern von ihm. Gott stört uns erst einmal mit seinem Besuch. So wie er den Abraham aus seiner Siesta herausgerissen hat.
Und was ganz wichtig ist: Abraham hat sich stören lassen. Abraham hat sich aus seiner Ruhe herausreißen lassen, und darum konnte Gott auch bei ihm ankommen.
Das war mein erster Aspekt über das Kommen Gottes: Das kann uns erst einmal ganz schön aus der Ruhe bringen.

2. Gott kommt oft zu uns durch Menschen, die Hilfe brauchen

Gott kam zu Abraham und Sara nicht als ätherische Engelgestalt oder als geheimnisvolles Geistwesen, sondern er kam in Form von drei konkreten Menschen männlichen Geschlechts. Dass das Gott war, das konnte Abraham ja am Anfang gar nicht wissen. In dem Moment, in dem die Männer vor ihm standen, wusste er beim besten Willen nicht, dass das jetzt eine Gottesbegegnung werden soll. Das klingt nur aus der Perspektive des biblischen Erzählers so, der schon in Vers 1 den Namen Jahwes nennt - Abraham aber wusste da noch nicht, dass das der Herr ist.

Ich frage mich: Wie werden diese göttlichen Männer wohl ausgesehen haben? Wir wissen es nicht. Höchstwahrscheinlich aber sehr menschlich. Und ich stelle mir vor: Sie hatten einen Marsch durch die sengende orientalische Wüste hinter sich. Sie werden verschwitzt und fertig ausgesehen haben. Und sofort erwachte das Gast-Gen in Abraham. Selbstverständlich lud er sie ein, seine Gäste zu sein. Zusammen mit Sara bot er alles auf, um ihnen einen angenehmen Aufenthalt zu gewähren. Wasser wird geholt, damit die Männer trinken und sich erfrischen können. Und dann gehen Abraham und Sara in die Vollen. Brot wird gebacken, sogar Kuchen, Butter und Milch werden geholt, ja, und dann wird sogar ein Kalb geschlachtet und für die Männer zubereitet. Das alles war also kein 40 min Aufenthalt der Männer gewesen. Sie blieben bei diesem beschriebenen Verwöhnprogramm mindestens einen Tag und eine Nacht. "Dass ihr Herz sich laben konnte.", heißt es so schön im Luthertext.
Übersetzt heißt das: Abraham und Sara hatten Gott durch und durch verwöhnt.
Ein Schluck Wasser hätte auch gereicht. Doch es gab das volle Programm. Machten sie das, weil sie wussten, dass es Gott höchstpersönlich ist? Nein, wir spüren im Bibeltext, dass das grundsätzlich Abrahams und Saras Art war, Gäste willkommen zu heißen. Selbstverständliche orientalische Gastfreundschaft.

Wie kommt Gott zu uns? In der Regel durch ganz normale Menschen, durch hilfsbedürftige Menschen. Jesus hat es einmal noch konkreter auf den Punkt gebracht, als er gesagt hat, wo wir ihm begegnen:
"Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen, und Ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan." (Mt. 25, 35.36.40)

Wie kommt Gott zu uns?
Gott kommt zu uns nicht nur durch spirituelle Höhenflüge, wie sich manche eine Gottesbegegnung vorstellen, sondern oft durch ganz irdische Begegnungen mit realexistierenden Menschen, die unsere Zuwendung brauchen. Diese Botschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel.

Hinter welchen Personen aus deinem Umfeld könnte sich vielleicht der hilfesuchende Gott verbergen? Vielleicht sind es gerade die uns ganz nahen Menschen, denen wir wie Abraham Labsal gewähren können. Vielleicht sind es aber auch die ganz anderen, die Fremden, die sich nach Heimat sehnen. Wichtig ist, dass wir wie Abraham und Sara grundsätzlich ein gastfreundliches Wesen haben, dann werden wir Gott nicht verpassen, falls er in unserem Leben auftaucht.

3. Gott kommt, um neues Vertrauen in uns zu wecken

Oft erwarten wir uns von Gottes Kommen umwälzende Veränderungen. Wenn Gott kommt, dann muss etwas Großes passieren, dann muss alles anders werden. Dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen.
Aber das war bei der Gottesbegegnung von Abraham und Sara gar nicht der Fall gewesen. Im Grunde genommen veränderte sich durch diese Begegnung gar nichts in ihrem Leben. Was geschah, war nur, dass Gott seine Verheißung noch einmal bestätigte, die er dem Abraham schon Jahre zuvor gegeben hatte.
In 1. Mose 15 lesen wir, wie Gott schon vor dieser Gottesbegegnung am Zelt dem Abraham unter dem Sternenhimmel folgende Zusage gegeben hatte: "Du wirst einen leiblichen Sohn bekommen und deine Nachkommen werden so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel." Und weiter heißt es in diesem Kapitel: "Abraham glaubte dem Herrn und das rechnete der ihm zur Gerechtigkeit."

Abraham kannte also schon die Verheißung eines Sohnes. Und er glaubte daran. Doch der Besuch der drei Männer bestätigte dann noch einmal alles, was er schon längst geglaubt hatte. Vielleicht war seine Glaube etwas verblasst mit der Zeit. Vielleicht sind erste Spuren von Zweifel aufgetaucht. Vielleicht war unsere diesjährige Jahreslosung eine gute Zustandsbeschreibung seines Seelenzustands: "Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!" Und deshalb wurde Gott aktiv und bestätigte durch den Besuch der drei Männer noch einmal alles, was er verheißen hatte. Ich finde das richtig nett von Gott. Er schenkte dem vertrauenden Abraham durch diese Begegnung ein weiteres Zeichen, dass seine Verheißung gilt.

Das Weihnachtsfest könnte für uns alle so ein Zeichen werden, durch das Gott unser Vertrauen in seine Verheißungen neu stärken will. Aber es wird durch dieses verheißungsvolle Fest nun nicht plötzlich alles wieder gut wie in den Disney-Filmen. Unser Vertrauen wird weiter nötig sein, so wie Abraham und Sara ein weiteres Jahr auf den verheißenen Sohn warten mussten. Und es gilt vielleicht weiter für uns: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben."

4. Gott kommt in unsere Unvollkommenheiten hinein

Gott besuchte den Abraham nicht in einem besonders magischen Moment, sondern mitten in seinem Alltagsleben. Er betete diese Männer auch nicht durch irgendwelche spirituellen Handlungen herbei, sondern Gott kam einfach so, von sich aus, ins realexistierende Leben dieser beiden alten Leute hinein.
Manchmal denke ich, dass wir vom Weihnachtsfest zu viel erwarten. Zu viel plötzliche heile Welt. Zu viel plötzliche fromme Gefühle. Zu viel plötzliche heilige Momente. Wir meinen, wir müssen für das Fest erst einmal einen perfekten Rahmen schaffen, damit es Weihnachten werden kann. Das Haus muss geputzt, das Herz rein sein, damit Gott bei uns ankommen kann.
Doch die Botschaft der Christgeburt ist eigentlich genau die Entgegengesetzte: Der vollkommene Gott wählte gerade die Unvollkommenheit aus als Ort für seine Ankunft. Ein Stall, einen Futtertrog, eine ganz schlichte Familie. Gott wird ein ganz normaler Mensch. Kommt als hilfsbedürftiges Baby, wird pubertierender Jugendlicher, lernt das Zimmermannshandwerk und beginnt als 30jähriger eine Karriere als Wanderprediger. Jesus Christus, wahrer Mensch. Einer, der lacht und weint, einer, der von der Arbeit müde wird und sich über das Unrecht aufregt. Einer, der Angst vor seiner letzten großen Prüfung hat und fürchterliche Schmerzen ertragen muss. Als so einer kommt Gott zu uns. So echt menschlich - durch und durch. Ein deutlicheres Ja kann doch Gott zu all unserer Unvollkommenheit gar nicht sprechen. Und deshalb ist Weihnachten eigentlich das Fest der Unvollkommenheit. Wir feiern an Weihnachten, dass unsere Unvollkommenheit Gott nicht daran hindert, zu uns zu kommen. Und darum ist das vielleicht auch gar nicht so schlimm, dass es bei mir zuhause nicht weihnachtlich aus sieht. Und dass es mir auch innerlich immer noch nicht weihnachtlich zumute ist. Weihnachten darf getrost auch einmal schlichter ausfallen. Weniger angestrengt im Heile-Welt-Modus, sondern ehrlich und unvollkommen, aber zugleich vielleicht entspannter und froher. Froh darüber, dass Gott uns in unserer Unvollkommenheit aufsuchen will, um uns seine Liebe zu schenken.

Jesus Christus spricht: "Siehe, ich stehe vor deiner Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, so werde ich bei ihm einkehren."
Off. 3,20     Amen

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