Text der Predigt am Sonntag, den 19. Juli

19.07.2020


PREDIGT zu 5. Mose 7, 6-9

6 Denn du (Israel) bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind. 7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –, 8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. 9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten.


Liebe Gemeinde,
um die Erwählung geht es heute.

Es sind einige Väter oder Mütter heute unter uns. Stellt euch mal vor, ihr hättet von einem Meinungsumfrageinstitut einen Fragebogen zugesandt bekommen, als eure Kinder im Schulalter waren. Und in diesem Fragebogen müsstet ihr nun verschiedene Möglichkeiten ankreuzen, warum ihr euer Kind liebt. Also: Ich liebe meine Kind weil... steht dick oben drüber.
Spiegelstrich eins: weil es so hübsch ist - Moment, denkst du, natürlich ist mein Kind hübsch, aber das ist doch nicht der Grund, warum ich es liebe
Spiegelstrich zwei: weil es so gehorsam ist - ähm, also im Moment ist es ja eher auf Krawall gebürstet, aber ich liebe es doch trotzdem
Spiegelstrich drei: weil es immer gute Schulnoten nach Hause bringt. Also wenn´s daran liegen würde, dann sähe es mit meiner Liebe düster aus.
Spiegelstrich vier: weil es mich noch nie enttäuscht hat..
Spätestens jetzt würdest du doch diesen Fragebogen weglegen. Das ist doch alles Quatsch: ich liebe mein Kind doch nicht, weil es irgendetwas besonderes tut oder nicht tut, oder irgendwelche besonderen Eigenschaften hat oder immer brav ist. Ich liebe doch mein Kind, weil..., ja, warum liebe ich denn eigentlich mein Kind? Ganz einfach: Ich liebe mein Kind, weil es mein Kind ist. Und ich werde mein Kind immer lieben, egal welche Noten es nach Hause bringt. Selbst wenn es mir auf die Nerven geht - ich werde doch deshalb nicht aufhören, mein Kind zu lieben.
Es gibt eigentlich gar kein "Weil" für echte mütterliche oder väterliche Liebe. Wir lieben unsere Kinder, weil sie unsere Kinder sind. Punkt.
Dass das in der Realität leider manchmal nicht so ist, das ist eine Sache, unter der viele Kinder leiden. Dass Eltern ihre Liebe abhängig machen vom Verhalten ihres Kindes, oder dass sich Eltern ihre Zuwendung zum Kind mit Leistung, Gehorsam und Perfektionismus bezahlen lassen, das alles ist eine sehr traurige Sache und nicht richtig. Denn echte elterliche Liebe tickt anders. Sie hat diesen Grundsatz: Ich liebe mein Kind, weil es mein Kind ist.

Und wenn wir das begriffen haben, wie echte Elternliebe tickt, dann können wir jetzt auch wieder einen Blick in unseren Predigttext werfen. V.7 "Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wärt als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern, sondern weil er euch geliebt hat und euren Vätern einen Eid geschworen hat."

Wenn es also um die Erwählung Israels geht, um die Liebe Gottes zum Volk seines Eigentums, dann scheint es auch kein "weil" zu geben. Denn Gott liebt dieses Volk nicht aufgrund irgendwelcher Vorzüge oder besonderen Eigenschaften, oder weil Gott sich dadurch einen besonderen Gewinn erhofft, nein, sondern einfach, weil er sich dazu einmal entschieden hat und weil er konsequent zu dieser Erwählung steht.

Ein Ehepaar aus einer meiner vorigen Gemeinden konnte keine eigenen Kinder bekommen. Darum bewarben sie sich um eine Adoption. So ein Verfahren ist gar nicht einfach. Monatelang mussten sie Fragebögen und Papiere ausfüllen und Eignungstests über sich ergehen lassen. Und dann hörten sie erst einmal gar nichts mehr. Doch dann rief eines Tages die Adoptionsbehörde plötzlich an und teilte ihnen mit, dass gerade ein neugeborenes Kind zur Adoption freigegeben worden ist. Sie müssten sich binnen der nächsten Stunden dafür entscheiden, ob sie dieses Baby annehmen. Sie waren dann erst einmal nur sprachlos. Doch ihr Ja war dann natürlich gar keine Frage mehr gewesen, denn ihre Entscheidung war ja längst schon gefallen: Sie sagten also ja zu diesem Kind, ohne dass sie es auch nur einmal gesehen hatten. Und dieses Ja würde nun auch lebenslang hinter diesem Kind stehen. Egal, was passiert, egal, wie sich dieses Mädchen einmal entwickeln würde. - Und ich durfte diese Entwicklung auch wenig verfolgen. Dieses Mädchen kam dann natürlich auch mal in die Pubertät und war phasenweise ein unausstehlicher Teenager geworden. Aber da haben dann die Eltern nicht gesagt: "Nö, also so war das damals nicht verabredet, wir hatten eigentlich ein braves und angepassten Mädchen bestellt." Absoluter Unfug! Die Eltern standen natürlich immer zu ihrer Tochter und das wird auch immer so bleiben - sie lieben ihre Tochter - ganz einfach, weil es ihr Kind ist und immer bleibt.

Und so steht Gott auch zu seiner Entscheidung gegenüber seinem erwählten Volk Israel. Gott hat dieses Volk gewissermaßen von Abrahams Zeiten an adoptiert und erwählt als Volk seines Eigentums. Gott hatte große Pläne für dieses Volk. Es sollte so etwas sein wie ein Vorzeigevolk unter den Völkern. Es sollte ein Hinweis auf seine Liebe sein und Segen sollte es verbreiten auf der ganzen Welt.
Aber "O wei!", was ist daraus nur in der Realität geworden! Was hat sich dieses Volk nicht alles gegenüber Gott geleistet seit seiner Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Eine Enttäuschung nach der anderen musste Gott mit ihnen im Verlauf der Geschichte erleben. Ihr Herz war fast nie ungeteilt bei ihm gewesen. Nicht nur einmal schmissen sie Gott einfach den Bettel hin und liefen anderen Götzen und Religionen hinterher. Sie kehrten ihm, der sie liebte, immer und immer wieder den Rücken zu.

Ähnlich ging es auch einem Ehepaar aus meiner Heimatgemeinde. Sie hatten einen Jungen adoptiert, als er noch ganz klein war. Und sie begleiteten ihn mit aller Liebe und auch mit pädagogischem Geschick ins Leben hinein. Doch kaum war er 18 Jahre alt geworden, wollte er plötzlich von seinen Eltern den Namen seiner leiblichen Mutter wissen. Da war nie eine Beziehung zu ihr gewesen und die leibliche Mutter hatte seit der Geburt nie nach diesem Kind gefragt. Aber nun begann der Sohn nach ihr zu recherchieren. Und er fand sie. Und eines Tages packte er einfach seine Sachen und zog auf Nimmerwiedersehen davon. Wir können uns vorstellen, was für ein tiefer Schmerz das für die Adoptiveltern gewesen war.

Und ähnlich muss der Schmerz auch immer wieder für Gott gewesen sein über die Untreue dieses adoptierte Volk seines Eigentums. Ja, die Bibel redet nicht nur von Schmerz, sondern auch vom Zorn, der in Gott entbrannte über diesem undankbaren und untreuen Volk. Aber eines hatte Gott trotz aller starker Emotionen nie gemacht: Er ist nie gewissermaßen mit dem großen Prügel hinter seinem Volk her gerannt, um es mit Gewalt zurück zu zwingen. Nein, Gott hatte stattdessen geduldig gewartet, bis es von sich aus zurückkam. Ähnlich wie der Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Gott wartete. Gott wusste: Entweder kommen sie aus freien Stücken zurück oder gar nicht.

Das wussten übrigens auch die Eltern, deren adoptierter Sohn sie verlassen hatte. Sie hätten manches Druckmittel in der Hand gehabt, aber ihnen war gleichzeitig auch bewusst, dass sie damit nie das Herz ihres Sohnes zurückgewinnen können. Er muss von sich aus merken, wo die Menschen sind, die ihn lieben, nur so kann er den Weg auch innerlich wieder zurückfinden. Gegenliebe kann von Eltern nie erzwungen werden

Das Volk Israel hat, Gott sei Dank, den Rückweg immer wieder gefunden Sie spürten immer wieder neu, wie leer die Versprechungen der Götzen und der Ersatzbefriedigungen waren, denen sie hinterhergerannt sind. In der Erfahrung von Krise, ausgetrocknetem Leben und Gottesferne erinnerten sie sich wieder an die Quelle, wo es frisches und lebendiges Wasser für sie gibt. Und sie kehrten um. Liefen zurück ins Vaterhaus wie der Verlorene Sohn aus dem Gleichnis Jesu. Und immer wieder machten sie dann diese erstaunliche Erfahrung: Gott hatte sie zwischenzeitlich nicht aufgegeben, Gott hatte auf sie gewartet. Gott war bereit, den Treuebruch zu verzeihen. Gott eröffnete neue Lebenschancen. Erwählung bedeutete für Israel immer wieder: Gott hört nicht auf zu lieben und wartet auf uns.

Vieleicht fragt ihr euch jetzt schon die ganze Zeit. Ja, das ist ja alles schön und gut, aber was hat das denn mit uns heute und mit mir persönlich zu tun? Schließlich bin ich ja kein Jude und gehöre nicht zu diesem erwählten Volk Israel.

Das stimmt nicht ganz. Ich bin zwar kein Jude, aber in der Bibel wird uns vor Augen geführt, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus einen ganz neuen Zugang zu seinem Gottesvolk geschaffen hat. Das Alten Testament zeigt uns: Israel ist Gottes erwähltes Volk. Doch die Botschaft des neuen Testamentes lautet: Gott hat durch die Sendung seines Sohnes Jesus Christus seine Erwählung auf alle Menschen ausgeweitet, die an Jesus Christus glauben. Damit ist die Botschaft des Alten Testamentes nicht überholt. Nein, Israel wird weiterhin für alle Ewigkeit Gottes erwähltes Volk bleiben. Aber Gott hat durch Jesus Christus jedem Menschen, egal aus welchem Volk und egal aus welchem Hintergrund, die Tür geöffnet, um dieser Erwählung teilhaftig zu werden, die Israel von Anfang an galt. Ja, noch mehr: wir können durch Jesus Christus nicht nur Teil von Gottes Volk werden, sondern er möchte uns als Söhne und Töchter adoptieren und die Vaterschaft für uns annehmen. Ein engeres und vertrauteres Verhältnis zu Gott gibt es nicht.

In Johannes 1, Vers 12 wird uns das vor Augen gestellt: "Jesus Christus kam in diese Welt und alle die ihn aufnahmen und ihm Glauben schenken, denen verlieh er das Recht, Gottes Kinder zu werden."

Was heißt das? Gott hat in Jesus Christus gewissermaßen einen Adoptionsantrag für dich und mich gestellt. Es ist sein Wunsch und sein Wille, dass wir auch Teil seines auserwählten Volkes werden. Es ist sein Wunsch und Wille, dass er dich und mich als seine Kinder adoptiert. Freilich geht er dabei nicht über unseren Wunsch und unseren Willen hinweg. Wir sind ja keine Babies mehr, die so eine Adoption einfach über sich ergehen lassen müssen. Wir sind reife, entscheidungsfähige Menschen. Aber wenn wir einwilligen, dann dürfen wir uns einordnen in diese auserwählte Söhne- und Töchterschar Gottes.

Ich zum Beispiel, bin wirklich ein von Gott auserwählter Sohn meines himmlischen Vaters. Für mich gilt, was in Epheser 1, 4,5 steht: "Ehe der Grund der Welt gelegt war, hat Gott mich dazu vorherbestimmt, sein Kind zu sein durch Jesus Christus und durch den Wohlgefallen seines Willens." Als ich als Baby vor 57 Jahren getauft worden bin, da hat Gott seinen Willen zur Vaterschaft von mir schon deutlich gemacht. Aber wichtig war, dass ich später dann auch von mir aus darin einwilligte, indem ich mein Ja sprach zu Jesus Christus als Weg und Wahrheit meines Lebens.

Doch muss ich eines gestehen: Es gab auch Phasen in meinem Leben, da habe ich mich ähnlich verhalten wie dieses wankelmütige Volk Israel, über das ich in dieser Predigt lange gesprochen habe. Mein Herz war nicht ungeteilt bei meinem Vater im Himmel. Ich habe mich entfernt von ihm. Immer und immer wieder. Doch ich durfte dann auch das erleben, was das Volk Israel erlebt hat: Gott hat gewartet. Auf mein Zurückkommen gewartet. Gott hat verziehen. Gott hat neuen Glauben und neue Liebe und neue Hoffnung geschenkt.

Ich schließe:
In der Geschichte Israels dürfen wir so etwas wie das Urbild dafür sehen, wie Gottes Vaterherz tickt. Und das Wichtigste an Gottes Herzschlag ist: Wofür er sich entschieden hat, das gilt für alle Zeit. Seine Erwählung kündigt er nie auf. Paulus schreibt in Römer 11, 29: "Seine Gaben und seine Berufung können ihn nicht gereuen." Gottes Erwählung ist nicht abhängig von uns und unserem Verhalten, sondern sie hat ihr Fundament in Gott selbst und Seinem Willen. Das gilt nicht nur für das Volk Israel, sondern wirklich auch für jeden einzelnen, der in das Kindschaftsverhältnis zu Gott einwilligt. Diese Adoption steht von Gottes Seite her ein für alle mal. Nur wir, du und ich, können uns davon entfernen. Aber Gott wartet. Auch heute. Auf dich. Amen

 

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