Text der Predigt am Sonntag, den 15. November
PREDIGT "Der Segen des Sabbats - Teil II"
Liebe Gemeinde,
über den Segen des Sabbats habe ich schon vor zwei Wochen begonnen zu sprechen.
Letztes Mal betrachteten wir diese Verankerung des Sabbats im Grundrhythmus des Lebens. Gott hat diesen Wechsel von Arbeiten und Ruhen, von Anspannung und Entspannung, von Schaffenszeit und Sabbatruhe ganz tief in seiner Schöpfung verankert. Die Bibel führt uns auf den ersten Seiten vor Augen, dass Gott selbst am siebenten Schöpfungstag ruhte, sich gewissermaßen entspannt zurücklehnte und an allem Geschaffenen erst einmal freute. Der Sabbat lädt uns folglich ein, an dieser Freude Gottes an seiner Schöpfung teilzuhaben. Und er lädt uns ein, wie Gott einmal die Hände ruhen zu lassen und mit dem zufrieden zu sein, wie es ist. Nichts Neues hinzufügen zu müssen, unser Erschaffen und Perfektionieren sein zu lassen. Im Vertrauen leben, dass die Welt sich weiterdreht, auch ohne unser Zutun. Vertrauen, dass Gott unser Leben in der Hand hält, auch wenn unsre Hände ruhen. So gesehen ist der Sabbat eine große Befreiung zum Leben. Und um diesen Zusammenhang von Sabbat und Befreiung soll es auch heute zentral gehen. Aber noch einmal mit einer besonderer Ausrichtung. Dazu lese ich uns jetzt das dritte Gebot im biblischen Wortlaut, und zwar in der Version von 5. Mose 5. Letztes Mal haben wir die Formulierung von 2. Mose 20 angeschaut, heute die Formulierung von 5. Mose 5.
12 Den Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligst, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat. 13 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 14 Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Sklave, deine Sklavin, dein Rind, dein Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt, auf dass dein Sklave und deine Sklavin ruhen gleichwie du. 15 Denn du sollst daran denken, dass auch du Sklave in Ägyptenland warst und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der HERR, dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.
Ist uns das aufgefallen? Während in 2. Mose 20 die Sabbatruhe mit der Schöpfungsruhe Gottes am siebenten Tag begründet wird, so taucht in 5. Mose 5 plötzlich ein ganz anderes Thema und eine ganz andere Begründung für den Sabbat auf: Es ist die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Daran soll am Sabbat gedacht werden. Das Volk Israel hat in der Knechtschaft in Ägypten Jahrzehnte lang erlebt, wie es ist, wenn man Frondienst leisten muss. Doch Gott hat das Volk in seiner Gnade aus der Sklaverei befreit. Und diese Befreiungstat war und ist für alle Juden so etwas wie die Urerfahrung Gottes. Gott ist ein Gott, der in die Freiheit führt. Und das soll am Sabbat immer wieder neu gefeiert werden. Aber das kann natürlich nur wirklich gefeiert werden, wenn man anderen auch an diesem Tag die Freiheit von Arbeit und Zwängen schenkt.
Niemanden darfst du an diesem Tag zwingen, für dich Arbeit zu tun, weder Sohn noch Tochter, noch Sklave noch Sklavin, nicht einmal dein Vieh und auch erst recht niemand, der als Fremdling oder Flüchtling in deiner Stadt lebt.
Als Tag der Erinnerung an die Befreiungstat Gottes hat der Sabbat also eine ganz starke soziale Ausrichtung. Es geht nicht nur um mich, dass ich Befreiung zum Leben erfahre, sondern es geht auch darum, dass ich meinem Nächsten Befreiung gewähre. Ruhe finden, aber auch Ruhe schenken.
Und diese soziale Dimension des Sabbatgedankens wird dann auch noch in manchen Folgegeboten für das Volk Israel deutlich. Zum Beispiel im sogenannten Sabbatjahr, das im jüdischen Gesetz verankert ist.
2. Mose 23, 10 "Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebenten Jahr aber sollst du es brach liegen lassen und nicht bestellen. Die Armen in deinem Volk sollen dann davon essen und den Rest mögen die Tiere des Feldes fressen."
Dieses Sabbatjahr war also nicht nur ein sehr sinnvoller landwirtschaftlicher Brauch - Stichwort Brachzeit - sondern er hatte auch diese soziale Komponente, dass von diesem Jahr besonders die Armen profitieren sollten.
Und genauso wird diese soziale Dimension des Sabbatgedankens auch deutlich in 2.Mose 21,2 wo es heißt:
"Wenn du einen hebräischen Sklaven hast, soll er dir sechs Jahre dienen, aber im siebten Jahr soll er freigelassen werden ohne Lösegeld."
Sabbat bedeutet "Befreiung zum Leben", aber mit dieser besonderen Betonung, dass ich auch anderen diese Freiheit gewähre.
Großartig ist, dass in unserem Land der arbeitsfreie Tag nach Art. 140 Grundgesetz ein Grundrecht ist und die Geschäfte sonntags nur in Ausnahmesituationen geöffnet haben dürfen. Manche ärgert das, denn sie wollen die Freiheit haben, 7 Tage die Woche rund um die Uhr einkaufen gehen zu dürfen. Doch denken sie dabei nur an ihre Freiheit und ihre Bedürfnisse. Das Sabbatgebot rückt stattdessen die Bedürfnisse der Angestellten in den Fokus, die dann Sonntags unfreiwillig an der Kasse stehen und ihre Familie dafür vernachlässigen.
Kehren wir jetzt aber noch einmal zu diesem Aspekt zurück, dass die Juden an jedem Sabbat die Befreiung ihres Volkes aus der Sklaverei feiern. Vor drei Wochen habe ich schon einmal darauf hingewiesen, dass die Sabbatfeier vor allem im Exil in Babylon für das jüdische Volk diese zentrale Position für den Glauben gefunden hat. Und im Exil ist dann auch die Sabbatfeier zum Bekenntnisakt der Juden geworden. Man muss sich das konkret vorstellen: Man war aus der Heimat vertrieben worden und nun musste man in diesem fremden Land mit dieser fremden Kultur überleben. Und da entdeckte man erst so richtig, wie identitätsstiftend dieser gemeinsam begangene Feiertag ist. Ohne den Sabbat hätte sich wahrscheinlich dieses verstreute Flüchtlingsvolk in der Fremde verloren. Doch der Sabbat entwickelte sich wie so ein festes Band, dass die Juden landauf, landab zusammenhielt.
Und jetzt stellen wir uns einmal diese Sabbatfeier in der Fremde konkret vor: Da wurden an jedem Vorabend des Sabbats in allen jüdischen Familien, egal wohin es sie vertrieben hatte, die Kerzen angezündet und nach dem Kiddusch ein festliches Mahl gefeiert. Und der zentrale Inhalt dieser Feier war, dass man dessen gedachte, was Gott einmal für sein Volk getan hat, als er es aus der Sklaverei in Ägypten befreit hatte. Man muss sich das vorstellen: 70 Jahre lang bis zur Wiederbefreiung feierte man in Babylon dieses Befreiungsmahl Woche für Woche in den jüdischen Familien. 70 Jahre lang blieb damit der Glaube lebendig, dass Gott ein Gott der Befreiung ist. 70 Jahre lang nährte der Sabbat die Hoffnung der Vertriebenen, dass Gott sein Volk auch wieder aus der Gefangenschaft befreien kann und will. So wurde die Sabbatfeier zur Überlebensfeier des Glaubens. So wurde die Sabbatfeier zum zentralen Bekenntnisakt der Juden.
Wir sind Christen - auf den jüdischen Stamm aufgepfropftes Gottesvolk. Wir feiern nicht den Sabbat, sondern einen anderen Tag der Befreiung: Es ist der Sonntag. Er geht auf diese andere Urerfahrung des Glaubens zurück, dass Frauen am Ostertag, am ersten Tag nach dem Sabbat, das Grab des gekreuzigten Christus besuchten. Doch es war leer. Und dann begegneten sie dem auferstandenen Christus. Gott hat ihn aus der Gefangenschaft des Todes befreit und zu ewigem Leben auferweckt. Und damit machte Gott klar, dass mit und durch Jesus Christus eine neue Zeit begonnen hat. Der Schrecken des Todes hat seine Macht verloren. Christus hat die Fesseln der Sklaverei des Todes gesprengt und ist uns vorausgegangen in das freie Land des ewigen Lebens. Und er kann und will uns alle dahin mitnehmen. An seiner Hand werden wir durch den Tod hindurch auch den Weg in Gottes Reich finden. Das feiern wir an jedem Sonntag. Die Auferstehung Jesu Christi und den neuen Weg in die Freiheit des ewigen Lebens.
Und noch etwas feiern wir am Sonntag: Die Befreiung von aller Schuld. Was Christus am Kreuz sogar für seine Peiniger gebetet hat, gilt auch jedem einzelnen von uns persönlich: "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun." Am Sonntag dürfen wir alles, was schief gelaufen ist und was zwischen uns und Gott und zwischen uns und unserem Nächsten steht, unter dem Kreuz ablegen. An jedem Sonntag dürfen wir einen Neuanfang wagen. Einen Reset. Was für eine Befreiung ist das, wenn wir mit dieser Perspektive in die neue Woche starten dürfen!
Der Sonntag schenkt uns in zwei Zeitrichtungen Befreiung: Zurückblickend Befreiung von alter Schuld, vorausblickend Befreiung zum ewigen Leben. Unsere Lebensperspektive ist nicht der nicht der Zerfall und das endgültige Aus unserer Existenz, sondern am Ende öffnet sich uns durch Christus der neue Weg in die Freiheit des ewigen Lebens.
Nun möchte ich uns eine Frage stellen: Rein gefühlsmäßig - wie empfindet ihr den Sonntag im Wochenverlauf? Ist er für euch eher Teil des Wochenendes, an dem ihr nach einer harten Arbeitswoche endlich ausspannen könnt. Ist der Sonntag für euch also eher der letzte Tage der Woche? Oder empfindet ihr den Sonntag eher als ersten Tag der neuen Woche? Also praktisch als Start in die Woche?
Rein formal gesehen ist der Sonntag wirklich der erste Tag der neuen Woche. Dennoch reden wir am Sonntag oft von "der nächsten Woche", wenn wir etwas beschreiben, was dann am Montag, Dienstag, Mittwoch oder so geschehen soll.
Seit Jahren wehre ich mich gegen diesen Sprachgebrauch und betone bewusst, dass mit dem heutigen Sonntag schon die neue Woche begonnen hat. Denn das hat für mich inhaltlich eine sehr große Bedeutung. Ich möchte die neue Woche mit der Auferstehungsfeier des Sonntags beginnen. Das soll meine Perspektive in die neue Woche sein. Die Perspektive der Befreiung von Schuld und die Perspektive der Hoffnung, dass wir, komme was will, dem ewigen Licht entgegengehen.
Mit den Juden gemeinsam feiern wir jede Woche den Ruhetag. Doch tun wir das nicht am Ende der Woche, am Sabbat, sondern am Anfang der neuen Woche, am Sonntag. Dieser soll uns auch zur Ruhe kommen lassen, aber er soll zudem noch so etwas wie ein österlicher Impulsgeber für die beginnende Woche sein: Befreiung zum Leben.
Und noch etwas ist für diesen wöchentlichen Ruhetag unentbehrlich: Es ist die Gemeinschaft. Der Sabbat, aber auch der Sonntag will uns in die Gemeinschaft des Gottesvolkes hineinführen. Das Herz der jüdischen Sabbatfeier ist die Feier in der Familie. Es gehört zwar auch dazu, später am Sabbat in die Synagoge zu gehen, aber der Feiertag beginnt mit Gebeten und einem Festmahl in der Familie. Denken wir noch einmal an die Sabbatfeiern der vertriebenen Juden in Babylon. Es gab ja damals im Exil keinen Tempel und keine großen Gottesdienstfeiern mehr, wo die Glaubenden aus allen Orten zusammenströmten. Der Glaube wurde vor allem zuhause praktiziert, in der Gemeinschaft der Familie. Aber diese häusliche Gemeinschaft fühlte sich nicht isoliert, sondern sie wusste sich eingebettet in die große Gemeinschaft des Gottesvolkes, egal, wohin sie verstreut waren. Und so geschah es, dass diese überall zur gleichen Zeit gefeierten Hausgottesdienste so etwas wie ein festes Band bildeten, das die große Gemeinschaft des Gottesvolkes zusammenhielt. Das ist für mich ein ganz wichtiger Gedanke, wenn ich versuche diese Grundlagen der jüdischen Sabbatfeier auch auf unsere Glaubenspraxis als Christen in der heutigen Zeit zu übertragen.
Wunderbar wären überall solche Hausgottesdienste in den Familien. Aber ich bin Realist: Wo gibt es noch solche Großfamilien, wo von Uropa bis Wickelkind mehrere Generationen um einen Tisch sitzen und dort Gemeinschaft im Glauben praktizieren? Die Wirklichkeit sieht so aus, dass meine Großfamilie sich dieses Jahr wahrscheinlich nicht einmal an Weihnachten um einen Tisch setzen kann. Die Wirklichkeit sieht so aus, dass es in Deutschland 17,6 Millionen Single-Haushalte gibt. Ein Viertel aller Deutschen lebt allein in der Wohnung.
Aber genau deshalb ist es um so bedeutungsvoller, dass wir in unseren christlichen Gemeinden so etwas wie eine Ersatzfamilie anbieten. Genau deshalb ist es umso bedeutungsvoller, dass wir Woche für Woche Gottesdienst feiern. Und das Erleben von Gemeinschaft ist ein ganz zentrales Element der sonntäglichen Feier. Wir merken das als Gemeinde momentan sehr stark im negativen Sinn: Darin, wie sehr wir unsere Kaffee- und Teerunde nach dem Gottesdienst vermissen. Gemeinschaft mit Gott und Gemeinschaft in der Großfamilie der Gemeinde, das sollten die prägenden Elemente unseres sonntäglichen Zusammenkommens sein.
Aber da kommt eben noch etwas drittes hinzu: Wir verbinden uns in unserer sonntäglichen Gottesdienstfeier auch mit der noch viel größeren Gemeinschaft der Kirche und der Christenheit. Wenn ich an die Sabbatfeiern der Exiljuden in Babylon denke, dann wird mir bewusst, wie wichtig es für uns als Christenheit ist, dass wir nicht aufhören, Sonntags Gottesdienst zu feiern. Wir vernetzen uns damit automatisch mit allen Christen auf dieser Welt.
Ein Sabbat oder ein Sonntag ohne Gemeinschaft und ohne Gottesdienst ist eigentlich kein wirklicher Sabbat oder Sonntag. Es gibt Zwänge, die es uns unmöglich machen, zum Gottesdienst zu kommen. Gerade jetzt in Coronazeiten können wir ein Lied davon singen. Und unsere ältesten und kranken Geschwister wussten das schon vor Corona, was das heißt, wenn man nicht mehr in den Gottesdienst kommen kann. Aber es gibt Möglichkeiten, dennoch emotional und geistlich mit den Geschwistern verbunden zu sein. Das schafften die Juden schon vor Jahrtausenden und das schaffen wir erst recht in Zeiten der neuen Medien und des Internets. Denken wir daran, wie wunderbar die überall praktizierte Sabbatfeier das verstreute Volk Israel durch die Jahrtausende zusammengehalten hat und sie damit den Glauben bewahrten. Ähnlich sollten wir als Christen auch den gemeinschaftlich gefeierten Sonntag wieder neu schätzen und pflegen lernen.
Ich bin davon überzeugt: In unserer immer atheistischer werdenden Gesellschaft wird die Sonntagsheiligung immer mehr zu einem Bekenntnisakt werden, wie für die Juden damals im Exil. Und zweitens kann aber die Sonntagsheiligung auch zu solch einem festen Band werden, das die Christen landauf landab zusammenhält. Deshalb: lasst uns fröhlich und treu sonntags zum Gottesdienst zusammenkommen. Wir empfangen dabei natürlich in erster Linie für uns Segen, aber wir knüpfen damit auch an diesem Band, das Gottes Volk durch die Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende zusammengehalten hat
Ich möchte schließen:
Gefeierte Gemeinschaft mit Gott und mit den Glaubensgeschwistern ist der dritte wichtige Aspekt des sabbatlichen Segens. Der erste Segensaspekt war, dass Gott uns an diesem Tag Ruhe schenken möchte und wir unser Leben damit im Grundrhythmus der Schöpfungsordnung verankern. Der zweite Aspekt war, dass der Sabbat zum Leben befreit und als Christen feiern wir am Sonntag dabei die größte Befreiungstat Gottes in der Auferweckung Jesu Christi zum ewigen Leben. Darin bildet sich auch unsere Zukunft ab.
Drittens führt uns der Sonntag in die Gemeinschaft. Die Gemeinschaft mit Gott, die Gemeinschaft mit der Ortsgemeinde und die Gemeinschaft mit dem ganzen uns verbundenen Gottesvolk.
Gott sei Dank gibt es den Sonntag! Gesegnet ist, wer den Sonntag feiert und heiligt. Gesegnet sind wir, wenn wir als Einzelne und Gemeinde und Kirche die Sonntagsheiligung hochhalten. Nicht als Last, sondern als wunderbares Geschenk. Amen