Text der Predigt am Sonntag, den 1. November
PREDIGT "Der Segen des Sabbats - Teil I"
Liebe Gemeinde,
über den Segen des Sabbats möchte ich heute sprechen. Letzten Sonntag ist mir dieses Thema für heute zwischen beiden Gottesdiensten klar geworden. In meiner Predigt hatte ich viel Hinterfragendes und Negatives über das Sabbatgebot gesagt. Schließlich sprach ich ja darüber, warum Jesus die Freiheit hatte, dieses Gebot zu brechen. Doch im Nachhinein dachte ich mir: Das kannst du so allein nicht stehen lassen. Denn das Sabbatgebot ist ja in Wirklichkeit etwas Wunderbares, das Gott uns zum gelingenden Leben geschenkt hat. Und Jesus selbst hat ja in dem Predigttext von letzter Woche betont, dass der Sabbat für den Menschen geschaffen ist, also uns zugute, nicht als Last, sondern als Freude. Und darum will ich heute über den Segen des Sabbats sprechen. Ja, nicht nur heute, sondern auch noch in meiner nächsten Predigt. Denn ich habe gemerkt, dass es da so eine Fülle zu sagen gibt, dass das einfach nicht in eine Predigt passt. Insgesamt gliedere ich meine Gedanken zum Segen des Sabbats in drei Themenblöcke.
1. Der Ruhetag - Verankert im Schöpfungsrhythmus
2. Der Ruhetag befreit zum Leben
3. Der Ruhetag führt in die Gemeinschaft
Heute spreche ich über das erste Thema:
Der Ruhetag - Verankert im Schöpfungsrhythmus
Zunächst das Gebot im Wortlaut von 2. Mose 20
8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, (auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.) 11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
Diese Fassung des Sabbatgebot macht uns vor allem klar, dass der wöchentliche Ruhetag seinen tiefste Begründung in der Schöpfungsordnung Gottes hat. Die wollen wir uns zunächst einmal näher anschauen.
Die ersten Seiten der Bibel mit dem Schöpfungsbericht gehören für mich zu den schönsten und stärksten Texten in der Heiligen Schrift. Ich lese diese Zeilen nicht als einen Wissenschaftsbericht, sondern als die tiefere Wahrheit, die hinter der ganzen Schöpfung steht. Wenn uns dort erzählt wird, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat, so geht es da nicht um die Frage, ob das jetzt siebenmal mal 24 Stunden gewesen sind oder sieben Milliarden Jahre, sondern
wir sollen erstens verstehen, dass Gott als der kreative Schöpfer und Erhalter hinter allem steht, was ist. Nichts ist zufällig entstanden, sondern Gott hat alles ins Leben gerufen - mit einer Absicht und einem Ziel.
Zweitens sollen wir verstehen, dass hinter dem ganzen Schöpfungsprozess ein wunderbarer Schaffensrhythmus steht. Die sieben Schöpfungstage bringen den Entstehungsprozess der Welt in eine gegliederte Ordnung und verleihen ihm eine innere Dynamik bis hin zum siebten Tag, an dem Gott nichts mehr schuf, sondern ruhte.
"Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag" heißt es nach dem ersten göttlichen Wort "Es werde Licht!". Und so wurde es Licht, Uranfang allen Daseins. Und dann lässt Gott Himmel und Erde entstehen, Trennung von festem Planetenboden und unendlichem Weltenraum. Und wieder heißt es: "Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag." Und so entfaltet Gott die Schöpfung Tag für Tag immer weiter. Und wir sehen darin eine gewisse Steigerung. Jeder Tag hat mehr Schöpfungsmomente als der vorige. Und die Schöpfung entfaltet sich in immer wunderbareren Details. Bis schließlich dann der Mensch als letztes kreatürliches Werk am sechsten Tag auf den Plan tritt.
Aber damit ist der Schaffensprozess Gottes noch nicht beendet, sondern das Ziel der Schöpfungstage finden wir dann darin, dass Gott sich am siebenten Tag zufrieden zurücklehnt und sich über alles freut, was er geschaffen hat. Und siehe, es war sehr gut. "Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken." heißt es abschließend.
Viele reden davon, dass der Mensch die Krone der Schöpfung ist. Aber nach dem biblischen Schöpfungsbericht trifft das nur bedingt zu. Der Rhythmus des Schöpfungsprozesses gipfelt dort eindeutig nicht in der Erschaffung des Menschen, sondern das Finale findet am siebten Tag statt, in der Erschaffung des Sabbats. Der Sabbat, der Ruhetag Gottes, ist das eigentliche Ziel und die Krone der Schöpfung.
Noch eine Bemerkung zum Schöpfungsbericht: Ich lese ihn nicht nur wie einen archäologischen Rückblick, sondern ich verstehe die Schöpfung immer auch als einen fortdauernder Prozess. In der Lutherbibel lauten die ersten zwei Worte der Bibel "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Das vermittelt den Eindruck, als ob es bei der Schöpfungserzählung um ein längst vergangenes Ereignis geht. Aber die Schöpfung war ja nicht nur am Anfang, sondern sie geht weiter. Jeden Tag schafft Gott neu, ruft Leben ins Dasein.
Ich liebe deshalb die Formulierung in der 3.Strophe von Cat Stevens Lied "morning has broken", wo es heißt: "God´s recreation of the new day." "Re-creation - Wiedererschaffung" - jeden Tag schafft Gott die Welt neu. Die Schöpfung ist nicht nur eine Schöpfung am Anfang, sondern eine fortdauernde Geschichte, eine creatio continua, sagen die Lateiner. Die ersten Worte der Bibel möchte ich deshalb lieber so übersetzen: "Und Gott begann zu schaffen" - statt in der Vergangenheitsform "Gott schuf" würde ich lieber übersetzen "Gott begann Himmel und Erde zu schaffen." Also ein Prozess, der noch nicht zu Ende ist, sondern weitergeht. Gott sei Dank. "God´s recreation every new day."
Ja, und hinter dieser "recreation" verbirgt sich auch bis zum heutigen Tag dieser wunderbare Schöpfungsrhythmus von Schaffenszeit und Sabbatruhe von Aktivität und Entspannung. Tag und Nacht. Sommer und Winter, Flut und Ebbe, Leben und Tod, alles ist von diesem sabbatlichen Wechselspiel von Aktivität und Ruhe geprägt.
Selbst im Kleinsten spüren wir das: Unser Herz, das unaufhörlich das Blut durch unseren Kreislauf pumpt, indem es sich zusammenzieht und wieder entspannt. Ungefähr 100.000 Mal in 24 Stunden. Man kann sich das kaum vorstellen. Man denkt: das Herz ist ja lebenslang unaufhörlich bei der Arbeit. Aber das ist nicht so: Bei jedem Herzschlag spannt sich der Herzmuskel an, aber er entspannt sich auch wieder und hat eine kurze Ruhephase. Genauer bemessen: Bei jedem Herzschlag ungefähr ein Drittel Entspannung. Insgesamt macht also diese Ruhezeit unseres Herzens sage und schreibe ein Drittel unserer Lebenszeit aus. Der Sabbat, die Ruhe, ist tief verankert im Lebensrhythmus.
Gott hat der Ruhe in seiner Schöpfung jedenfalls eine ganz wichtige Rolle zugeteilt. Sie ist lebenswichtig. Sie ist so etwas wie ein Grundgesetz des Lebens. Wer regelmäßig ruht, der ist nicht faul, sondern der verankert sein Leben in diesem uralten Schöpfungsrhythmus, der uns in der Bibel vor Augen geführt wird. Gott selbst ruhte am siebten Tag. Und Gott segnete den Ruhetag. Gott segnet die Ruhe. Gott segnet die Ruhenden. Ruhe ist eine christliche Pflicht, keine peinliche Schwäche, wie es uns der Zeitgeist unserer Tage einflüstern möchte.
Warum ruhte eigentlich Gott am siebten Tag? Das fragte ich mich schon als Kind. War er so erschöpft, dass er erst einmal ausruhen musste? Oder hatte ihn dieses ganze entstandene Schöpfungsgewusel so gestresst, dass er erst mal bei einem Nickerchen Abstand gewinnen musste? Nein, das Gegenteil zeigt uns das biblische Zeugnis: Gott will an diesem Ruhetag nicht Abstand zur Schöpfung gewinnen, sich gewissermaßen erschöpft oder genervt ausklinken aus allem, sondern im Gegenteil: er will alles, was geworden ist, in vollen Zügen genießen, sich an seiner Schöpfung freuen. Vergnügt denken: Und siehe, es ist alles sehr gut geworden. Gottes Ruhe ist nicht Distanzierung, sondern tiefes Mitfühlen und Freuen an seiner Schöpfung.
Und genau darum geht es auch im Kern, wenn wir eingeladen werden, an diesem sabbatlichen Lebensrhythmus teilzuhaben. Ruhen bedeutet nicht Abwendung von der Welt, sondern Ruhen bedeutet im Gegenteil Teilhaben an der Freude Gottes über seine Schöpfung.
Kennen wir sie noch? Die Tradition des Sonntagsspaziergangs. Sie lädt uns ein, einzutauchen in diese wunderbare Welt, sich zu freuen über die wunderbare Schöpfung, in der wir leben dürfen.
Und stellen wir uns das vor: "Jeden Morgen erwachen wir in einer Welt, die wir nicht selbst geschaffen haben." (Tomas Sjödin) Vielleicht sollten wir deshalb jeden Morgen erst einmal darüber staunen, was uns da zum Leben geschenkt ist. Jeder Atemzug an frischer Luft, jedes Zwitschern eines Vogels, der erste Sonnenstrahl oder der notwendige Regen, der uns empfängt, das kühle Wasser, das uns den Schlaf aus unseren Augen wischt, das Frühstück, das uns stärkt, die Menschen, die uns begegnen. Das wäre so ein erster sabbatlicher Ruhemoment am Tag, wenn wir uns zunächst mal freuen über unser Dasein und über die Schöpfung, die uns zum Leben gegeben ist. Jeden Morgen erwachen wir in einer Welt, die wir nicht selbst geschaffen haben.
Das ist das erste, wozu uns Gott am Sabbat inspirieren will: "Freuen über die Schöpfung und über unser Dasein" - so wie er es getan hat und tut.
Zweitens "Unser Schaffen ruhen lassen". Gott hat an den ersten sechs Schöpfungstagen alles gegeben und eine wunderbare Welt gestaltet. Und indem er am siebenten Tag ruhte, zeigte er, dass er zufrieden ist und gerade keine Notwendigkeit mehr sieht, das weiter zu perfektionieren. Es ist gut so, wie es ist. Das könnte auch zu unserem Motto am Ruhetag werden. Es ist gut so wie es ist.
In der Regel übersetzen wir das Sabbatgebot so: Du sollst an diesem Tag nicht "arbeiten". Doch würde mir die Formulierung: du sollst nicht "schaffen" - besser gefallen. Nicht, weil ich halber Schwabe mit "schaffe, schaffe, Häusle baue" bin. Sonden aus einem inhaltlichen Grund: Schaffen ist mehr als Arbeiten. Schaffen ist erschaffen. Du sollst am Sabbat nicht schaffen. Es geht an diesem Tag darum, die Welt einmal so bleiben zu lassen, wie sie ist. Ich muss nicht neues erschaffen, nichts neues hinzufügen, nichts neues planen, nichts altes verändern und verbessern. Ich darf es einfach mal so lassen, wie es ist. So wie Gott am siebenten Tag auch das Erschaffen hat sein lassen, weil es so gut war, wie es ist.
Wirkliche Ruhe finden wir nur darin, dass wir das, was ist, jetzt einfach mal so sein lassen, ohne den Druck zu empfinden, etwas anders haben zu wollen. Sechs Tage in der Woche bist du dazu berufen, zu verändern, zu verbessern, zu gestalten und zu entwickeln - dein Arbeitsprojekt, dein Wohnungszustand, deine Beziehung, deinen Kontostand, und was immer noch - aber am siebenten Tag sollst du ruhen von deinem Schaffen.
Es ist ein Teil unserer Gottesebenbildlichkeit, dass wir kreativ sein können, dass wir etwas erschaffen und entwickeln können. Das ist etwas Wunderbares und Gott hat es uns Menschen in die Wiege gelegt. Aber am Ruhetag sollen wir uns dessen bewusst werden, dass wir dennoch nicht Götter sind, Kreatoren, Welterschaffer. Die Welt, in der wir jeden Morgen aufwachen, ist schon erschaffen und sie dreht sich auch weiter ohne unser Zutun. Vielleicht soll uns der Sabbat auch diese Grenze gegenüber Gott, dem Schöpfer deutlich machen. Und das ist weniger eine Kränkung, sondern vielmehr eine wunderbare Entlastung.
Ein Letztes: Um am Sabbat ruhen zu können von allem Schaffen, braucht es vor allem Vertrauen. Vertrauen, dass Gott der Herr ist. Vertrauen, dass Gott mein Leben in der Hand hält, auch wenn meine Hände ruhen.
Mein Großvater war Bauer und Christ. Er war kein großer Kirchgänger, weil ihn einige Gemeindeleute mit ihrem Einmischen in seine persönlichen Angelegenheiten sehr verletzt hatten. Aber die Sonntagsruhe gehörte für ihn zur selbstverständlichen Christenpflicht. Auch wenn ein Gewitter drohte und das fast trockene Heu noch draußen auf der Wiese lag. Am Sonntag fuhr er nicht raus, um es einzuholen. Er traute es Gott zu, dass dieser ihn für den möglichen Verlust auf andere Weise entschädigen könne. Sein bäuerliches Leben war jedenfalls fest verankert in diesem sabbatlichen Lebensrhythmus. Und so viel ich mich an ihn erinnere, war er sehr glücklich darin. Wenn ich die Bauern von heute sehe, so kann ich nur noch wenig davon entdecken. Sie haben sich fast alle der 7 Tage/24 Stunden-Hektik unserer Zeit angeglichen. Ob sie das erfolgreicher macht, weiß ich nicht, wahrscheinlich aber nicht glücklicher.
Vertrauen ist angesagt am Sabbat. Das heißt auch, die Sorgen mal aus der Hand zu legen. Auch gegenüber Gott die Litanei der Bitten und der Veränderungswünsche begrenzen. In der jüdischen Sabbatliturgie kommen Bittgebete gar nicht vor. Das jüdische Sabbatgebet besteht aus reinem Lobpreis Gottes. Am Sabbat wird gedankt, gelobt und man freut sich über das halbvolle Glas des Lebens. Sabbatliches Leben bedeutet Loslassen und Vertrauen üben.
Ich möchte mit einem Appell an uns alle schließen - mich eingeschlossen:
1. Lasst uns wieder anfangen, den Sonntag als echten Ruhetag zu begehen und zu feiern. Lasst uns begreifen, dass uns Gott damit einen Weg zu einem gelingenden Leben zeigen will. Wir verankern damit unser Dasein im Schöpfungsrhythmus, der alles durchzieht. Lasst uns am Sonntag lernen, wirklich zu ruhen, und lasst uns auch jedem Tag eine bewusste Ruhephase schenken.
2. Lasst uns auch den Sonntag wieder bewusster so gestalten, dass wir an ihm an der Freude Gottes über seine Schöpfung teilhaben. Lasst uns an diesem Tag Gott loben mit unserer Freude am Dasein und mit unseren Gottesdiensten und Gebeten.
Und noch etwas:
3. Lasst uns einmal in der Woche wirklich pausieren von allem unserem Schaffen und Gestalten. Und machen wir uns an diesem Ruhetag dann bewusst, dass die Welt sich auch weiterdreht ohne unser Zutun.
Und lasst uns schließlich und 4. wenigstens einmal in der Woche wirklich mit dem zufrieden sein, wie es ist. An unserem Arbeitsplatz, in der Schule, in unserer Familie, in unseren Beziehungen, in unserer Gemeinde, in unserem Land. Sechs Tage darfst du von mir aus jammern und klagen und verändern wollen, aber am siebenten Tag sollst du Frieden schließen mit deinem Leben und Ruhe finden.
So lasst uns solche sabbatliche Menschen werden und an unserem Ruhetag die Sorgen in Gottes Hand legen, damit unsere Hände ruhen können. Amen
P.S.
Das Buch des schwedischen Pfarrers und Autor Tomas Sjödin mit dem Titel "Warum Ruhe unsere Rettung ist" hat mich wesentlich zu meinen Predigtgedanken inspiriert.