Text der Predigt am Heiligabend - 24. Dezember 2020

"Alles ist so anders..."

Ach, es ist dieses Jahr alles so anders an Weihnachten! Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Wochen gehört und auch selbst ausgesprochen. All diese schönen Dinge, die wir gewöhnlich mit der Advents- und Weihnachtszeit verbinden, sie fallen zum großen Teil der Corona-Pandemie zum Opfer. Die Weihnachtsmärkte, das Singen der schönen Advents- und Weihnachtslieder, das Bummeln durch die geschmückten Fußgängerzonen, die Weihnachtsfeiern in den Vereinen und Betrieben, die schönen Krippenspiele, ja, und auch die vollen Kirchen an Heiligabend, das "O du fröhliche" aus hunderten von Kehlen am Schluss des Gottesdienstes, und schließlich das große Zusammentreffen der Verwandtschaft an Weihnachten. Nicht alle bedauern das alles, manche sind über manches gar froh, aber trotzdem: Es fällt auch mir, der ich eigentlich eher ein Weihnachtsmuffel bin, schwer, dass in diesem Jahr alles so ganz anders ist. Ein abgespecktes Weihnachten, dem irgendwie ein wenig der Glanz fehlt, das Unbeschwerte, das ersehnte Wie-früher-Heimat-Gefühl. Stattdessen alles so ungewohnt und anders.

Doch als ich mich bei der Vorbereitung auf heute mit dem Weihnachtsevangelium beschäftigte, fiel mir auf, dass das ja gerade auch ein zentrales Thema in dem bekannten Bibelabschnitt von Lukas ist. So ganz anders ging es auch damals rund um die Geburt von Jesus zu.

Da fängt schon mit Maria und Joseph an. Ich sehe das Paar vor mir. Sie erwarten ihr erstes Kind. Jedes Ehepaar, das ein erstes Kind schon erwartet hat, weiß, wie aufregend das ist. Alles ist anders in dieser Zeit. Man fiebert dem Entbindungstag entgegen und stellt sich auf ein komplett neues Leben ein.

Und auf Maria und Joseph wartete eine zusätzlich harte Prüfung: Josef musste wegen dieser bescheuerten Steuerschätzung der römischen Besatzungsmacht die weite Reise nach Bethlehem antreten. 180 km beschwerlicher Fußweg zusammen mit der hochschwangeren Maria. Es wird wohl mindestens eine Woche gedauert haben. Das war eine regelrechte Tortur!

Und dann sind in Bethlehem zu allem Überfluss auch noch die Herbergen voll. Die beiden müssen auf eine Notgeburt in einem Stall zuzittern.

Ich glaube, Maria und Josef hatten sich das mit der Geburt ihres ersten Kindes auch ganz anders vorgestellt. Da sind unsere Umstellungen wegen dieses Virus ein Klacks dagegen.

Doch machen wir uns nun bewusst: Gott ließ sich durch alle diese schwierigen Umstände nicht beirren. Jesus, der Immanuel, der "Gott mit uns", kam trotz dieser ganzen chaotischen Situation auf die Welt. Gott zeigte uns darin auf besondere Weise, dass er an unserer Seite ist, auch wenn alles anders und so schwierig ist. So ist Gott. Immanuel, Gott mit uns, selbst im größten Chaos des Lebens.

Und auch für die Hirten, von denen uns Lukas berichtet, war dann alles anders. Die Heilige Nacht begann für sie als eine Nacht wie jede andere. Sie taten ihren Job. Doch plötzlich umstrahlte sie die Herrlichkeit des Herrn, wie es im Evangelium heißt. Ich weiß nicht, wie wir uns das konkret vorstellen sollen. Aber das, was damals auf diesem offenem Feld vor Bethlehem geschah, war wohl das Ungewöhnlichste und zugleich Großartigste, was ein schlichter Mensch erleben kann. Eine echte Gotteserfahrung, eine überwältigende Engelbegegnung. Von verschwindend wenigen Menschen in der Bibel wird uns berichtet, dass sie einen Blick in die Herrlichkeit Gottes, die Kabod Jahwes, werfen durften. Mose, Jesaja, Paulus. Und eben auch diese namenlosen Hirten. Wow, ab dem Moment war alles anders in ihrem Leben. Ganz bestimmt.

Aber zugleich war es auch verstörend, was der Engel ihnen über den kommenden Messias deutlich machte: Während alle Juden auf einen großen und mächtigen Herrscher aus königlichem Geschlecht warteten, verkündete der Engel die Geburt eines Säuglings, der in einem Futtertrog liegt. Eingewickelt in Windeln, wohinein der Messias wie wir alle... nun ja, peinlich... So soll der von Gott gesandte Retter sein? Wenn das so ist, dann ereignet sich sein Kommen jedenfalls vollkommen anders, als sich das ein Mensch je vorgestellt hat.

Die Hirten hätten den Engelscharen auch den Vogel zeigen können oder die Erscheinung als Folge von etwas zu viel Rauchware oder Alkohol abtun können. Doch sie glaubten der ungewöhnlichsten Botschaft aller Zeiten und machten sich auf den Weg. Hin zur Krippe, hin zum jämmerlichen Stall, wo sie ein ganz normales Baby fanden - ohne Heiligenschein. Doch sie glaubten der Botschaft der himmlischen Heerscharen: Dieses Kind ist der Messias, der Retter der Welt. Und so wie es aussieht, ist er wirklich einer von uns. So ganz anders, als wir uns den göttlichen Retter vorgestellt hatten. So nah und gar nicht abgehoben.

Das Weihnachtsevangelium zeigt uns eindrücklich, dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus die Weltbühne ganz anders betreten hat, als es Menschen erwartet hatten. Wohl auch wir erwartet hätten. Und er möchte uns damit klar machen: Ich, der große und allmächtige Gott mache mich ganz klein, um wirklich an eurer Seite zu sein. Ich verstehe euch nun wirklich, weiß, wie das ist, klein, hilflos und begrenzt zu sein. Und ihr dürft mich besonders an eurer Seite wissen, wenn ihr euch selbst so arm und hilflos fühlt.

Was bedeutet das für unsere Weihnachtsfeiern, die in diesem Jahr so anders ausfallen, kleiner, schlichter, nachdenklicher, nicht ganz so im Heile-Welt-Modus wie sonst? Auch wenn der äußere Rahmen anders ist, der Herr ist in unserer Mitte. Gerade dann, wenn wir vielleicht sogar mitten im Chaos versinken, wenn alles durcheinander gerät in unserem Leben, wenn unser Leben eher einem armseligen Stall als einem glänzenden Palast gleicht, dann ist der Herr an unserer Seite.

Da sitzen Menschen in diesen Stunden einsam in Altenheimen, da haben Kranke auf Intensivstationen seit Wochen keinen Besuch mehr bekommen, da suchen verzweifelte Menschen Zuflucht in den Bahnhofsmissionen, da grämen sich Selbstständige, wie es weitergehen soll mit ihrer Existenz. Die Botschaft von Weihnachten sagt uns: Gott ist gerade da präsent, wo die Armut und die Hilfsbedürftigkeit groß ist. Und weil Gott da präsent ist, darum wollen auch wir präsent sein, wo Menschen uns brauchen.

Der Herr ist in unserer Mitte, auch wenn der äußere Rahmen unserer Feiern in diesem Jahr anders ist. Freilich ist es wichtig, dass wir uns nicht bei den äußeren Dingen aufhalten und denken "Weihnachten fällt dieses Jahr aus", wie es in letzter Zeit manchmal gedankenlos gesagt wurde. Weihnachten findet statt! Weihnachten findet überall dort statt, wo Menschen sich glaubend für Jesus Christus als ihren Heiland öffnen.

Schauen wir zum Schluss noch einmal auf die Hirten von Bethlehem. Sie hatten die Botschaft von der Christgeburt gehört, so wie wir heute, aber beim Hören ist es bei ihnen nicht geblieben. Sie sind dann auch losgelaufen, um das Kind in der Krippe zu suchen und zu finden. Und sie haben der Botschaft geglaubt, als sie vor diesem unscheinbaren Wickelkind standen. Und weil sie es glaubten, wurden sie mit tiefer Freude und großer Hoffnung erfüllt. Sie fanden diesen Frieden auf Erden, den die himmlischen Heerscharen versprochen hatten. Dieser Friede ist ein ganz persönlicher Friede, ein Friede, den wir in der Begegnung mit dem verheißenen Immanuel finden.

Auch in unseren Weihnachtsfeiern können wir diesen Frieden finden, wenn unsere Herzen zu Jesus finden. Das ist vollkommen unabhängig vom äußeren Rahmen. Entscheidend ist, dass wir uns bewusst machen: Der Herr ist in unserer Mitte. Es ist anders als sonst, aber Jesus ist und bleibt das Zentrum.
Amen

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