Text der Predigt am 23. Mai 2021

Predigt "Vom Himmelsturm zum Himmelsband"

Apostelgeschichte 2
1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? 8 Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, 11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

 

Liebe Gemeinde,

wir feiern Pfingsten. Es gibt zwei biblische Erzählzusammenhänge, in denen ich das Pfingstereignis sehe. Es ist zum einen der Zusammenhang von Leben, Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Und es ist zum anderen der Zusammenhang mit einem der ersten Kapitel in der Bibel, dem sogenannten Turmbau zu Babel.

Schauen wir uns den ersten Zusammenhang an. Jesus. Seine Jünger und Jüngerinnen dürfen drei Jahre lang ihr Leben mit ihm teilen. In ihm finden sie ein neues Leben, erfahren Gott hautnah. Und sie spüren, mit Jesus beginnt eine neue Zeit für diese Welt, das Reich Gottes ist angebrochen.

Aber dann der SuperGau. Jesus wird in Jerusalem gefangengenommen, aus fadenscheinigen Gründen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Alles aus. Alle Hoffnungen zerplatzt. Tiefe Trauer und Enttäuschung erfüllt die Herzen seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger.

Doch dann geschieht ein unbeschreibliches Wunder. Als Frauen am dritten Tage nach dem Grab Jesu sehen, um seinen Leichnam zu salben, ist es leer. Und bald wissen sie warum: denn sie begegnen Jesus leibhaftig, er ist auferstanden von den Toten. Nicht nur sie, sondern auch die anderen Jünger begegnen ihm. Über 500 Menschen ist Jesus als der Auferstandene begegnet. Dennoch ist nun nicht alles wieder so wie früher: Jesus sagte ihnen, dass er gehen muss - zurück in seine himmlische Heimat. Doch er wird sie nicht allein lassen. Er wird ihnen seinen Geist senden. In ihm wird Jesus weiterhin auf eine neue Art für sie präsent sein.

Und genau so geschieht es. 40 Tage nach Ostern wird Jesus vor den Augen seiner Jüngerinnen und Jünger in den Himmel erhoben. Das muss man sich nicht vorstellen wie einen Raketenstart in das All über uns. Sondern Jesus kehrte zurück in die göttliche Dimension, die verborgene geistliche Welt, die uns zwar komplett umgibt, die aber für uns unsichtbar ist. Für die Augen der Jüngerinnen und Jünger war Jesus nun weg. Doch sie hielten sich an seine Anweisung.

Sie zogen sich in Jerusalem in das Obergeschoss eines Hauses zurück und beteten darin anhaltend und sehnsüchtig darum, dass Jesus seine Verheißung wahrmacht und seinen Geist zu ihnen sendet. Sie wussten nicht, wann und wie das genau sein wird, aber sie vertrauten darauf: Jesus wird uns seinen Geist schenken.

Und dann kommt 10 Tage nach Himmelfahrt das Pfingstfest. Sie waren wie gewohnt zum Beten beisammen. Doch plötzlich geschah ein großes Brausen wie von einem Sturmwind und es erschienen ihnen Zungen zerteilt wie von Feuer und sie setzten sich auf einen jeden von ihnen. Sie wurden vom Heiligen Geist erfüllt. Jesus war wieder da, anders als früher, aber sein Geist erfüllte und durchdrang von da an ihre ganze Existenz.

Das Bild vom Brausen des Heiligen Geistes wie von einem Sturmwind drückt aus, was der Geist Jesu bei ihnen auslöste: Er setzte sie in Bewegung. Sie machten sich von jenem Tag an unaufhaltsam auf den Weg, um die frohe Botschaft von Jesus Christus in die ganze Welt hineinzutragen. Das Bild von den Feuerzungen, die sich auf die Jünger setzten, drückt aus, dass der Geist in ihnen ein Feuer der Begeisterung für Jesus entfacht hatte und ein Feuer der Liebe zu allen Menschen.

Und das Beeindruckendste war, dass dieses Feuer des Geistes nicht allein bei den ersten Jüngern blieb. Überall, wo nun Menschen zum Glauben an Jesus Christus kamen und sich taufen ließen, wurden diese auch vom Heiligen Geist erfüllt - die Liebe Gottes war wie in ihre Herzen ausgegossen. Und so blieb das Pfingstwunder kein einmaliges Ereignis, dessen wir uns heute ehrfürchtig erinnern müssen, sondern Pfingsten löste ein Lauffeuer aus, das sich durch alle Zeiten und über die ganze Welt ausbreitete. Der Heilige Geist, Gott in Jesus in Aktion, wirkt bis zum heutigen Tag. Menschen öffnen sich für Gott, finden zum lebendigen Glauben an Jesus Christus und werden erfüllt von der Dynamik und der Liebe des Heiligen Geistes.

Das ist der eine Erzählstrang, in der die biblische Erzählung von Pfingsten steht. Pfingsten führt fort, was im Leben, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi begonnen hat.

Der zweite Erzählstrang reicht noch viel weiter zurück in die sogenannte Urgeschichte der Bibel. Die ersten Kapitel der Bibel, wo von den Uranfängen, von Schöpfung, Paradies, Sündenfall, Brudermord, Sintflut und vom Turmbau zu Babel erzählt wird. Ich bezeichne diese Urgeschichten gerne als "Immergeschichten". Denn das, was uns da beispielsweise vom Sündenfall oder vom Brudermord oder von einem Turmbau zu Babel erzählt wird, ist mehr als eine längst vergangene Geschichte, sondern sie ereignet sich genauer betrachtet in ihren Grundzügen auch noch heute.

Das Streben der Menschen nach Selbstherrlichkeit, das Streben danach, dass die Menschen sein wollen wie Gott und dass sie deshalb den Einfluss ihres Schöpfers aus ihrem Leben ausklammern wollen, das wurzelt bis heute tief in uns allen. Wir bezeichnen es als "Sünde" - Entfremdung von Gott. Und die Folge dieser Entfremdung, die Folge dessen, dass wir uns vom Vater des Lichts distanzieren, ist, dass das Dunkel auf dieser Erde Raum findet - in uns und um uns herum. Selbst das gut Gemeinte wird manchmal durch diese Gottesentfremdung zum Gegenteil von Gut. Davon erzählt sehr eindrücklich die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Die Zwiespältigkeit des menschlichen Fortschritts und des Wachstumsstrebens der Menschheit.

Die Erfindung der Ziegelbrenntechnik war in der Menschheitsgeschichte einmal ein riesiger technologischer Fortschritt. Plötzlich konnte man stabile und immer höhere Bauwerke bauen. Doch nahmen sich nun die Menschen in ihrem Hochmut vor, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel reicht. Ihren Namen wollten sie damit groß machen, anstatt den Namen des Herrn ihres Gottes zu heiligen. Den Schöpfer gewissermaßen vom Thron stoßen.

Jeder technologische Fortschritt trägt diese Gefahr und Dynamik in sich. Das Sein-Wollen-wie-Gott steckt tief in uns Menschen. Heute ist es nicht mehr die Ziegelbrenntechnik, sondern andere Stichworte fallen mir ein wie z.B.: Atomenergie, Gentechnik, moderne Kommunikationstechnologie, Künstliche Intelligenz. Wir wollen hoch hinaus, immer höher, schöpfergleich, himmelserobernd. Die Welt in Griff bekommen. Aber wir verlieren dann dabei immer wieder so schnell die Übersicht und die Handlungskontrolle. Der ersehnte Fortschritt wächst uns über den Kopf und unser unersättliches Wachstumsstreben führt in die Katastrophe. Die Klimakrise ist ein dramatisches Beispiel dafür.

In der biblischen Geschichte steckt eine ordentliche Portion an Ironie. Sie erzählt uns davon, wie die Menschen selbstbewusst einen Turm bis in den Himmel bauen wollen. Aber Gott muss dann erst einmal vom Himmel herabsteigen, um dieses Städtchen mit seinem Türmchen überhaupt zu entdecken. Gott behält also die Übersicht, Gott sei Dank.

Die Folgen der menschlichen Grenzüberschreitung wiegen aber schwer. Der Turmbau zu Babel endet schließlich in Sprachverwirrung und Chaos. Eine Völkerwelt bleibt zurück, die sich immer mehr zum Gegeneinander statt zum Miteinander entwickelt. Wir können bis zum heutigen Tag ein Lied davon singen. Was in den letzten Tagen in Israel und Gaza geschehen ist, ist eine Auswirkung dieser tief in uns Menschen wurzelnden Sprachverwirrung und der daraus folgenden Friedlosigkeit.

Doch Gott lässt uns damit nicht hoffnungslos allein. Gott hat eine Antwort gegeben auf diesen Riss zwischen den Menschen und zwischen den Völkern. Pfingsten war die Antwort. Menschen aus aller Herren Länder strömten damals am Pfingstfest in Jerusalem zusammen, um zu sehen, was bei diesen Jesusleuten geschieht. Und es verblüffte sie komplett, dass jeder von ihnen sie in seiner eigenen Sprache sprechen hörte. Durch die Ausgießung des Heiligen Geistes geschah ein Verständigungswunder. Die vom Heiligen Geist berührten Jesusleute vermochten es, zu jedem der vielsprachigen Menschen so zu sprechen, dass sie verstanden wurden.

Und das war nur der Anfang des Pfingstwunders. Denn hier deutete sich in einem ersten Schritt an, was nach diesem Pfingsttag weiter geschehen würde. Die durch das Wirken des Geistes Gottes entstehende Kirche wurde zu einem Sammelbecken für Menschen aus allen Nationen. Und trotz aller Unterschiedlichkeit fand man zusammen im Glauben an den einen Herrn Jesus Christus. Wo Menschen zum Glauben an Jesus Christus und in die christlichen Gemeinden fanden, da hörten die alten Trennlinien auf, trennend zu sein. In Christus galt nicht mehr, ob jemand Jude oder Grieche oder Araber war, oder Sklave oder Freier, oder Mann oder Frau, oder reich oder arm. Nein, sie wurden eins in Christus. Der Geist Gottes ließ ein neues Miteinander entstehen zwischen den Menschen. Die christliche Gemeinde wurde zum Ort, wo sich Versöhnung ereignete und aus Fremden Freunde wurden. Die Sprache der Liebe war die Sprache, die die alte Sprachverwirrung zu überwinden vermochte. Die Liebe wurde zum Band, das die Menschen über alle Trennungslinien hinweg zu verbinden vermochte.

Vom "Himmelsturm zum Himmelsband", so habe ich meine Predigt überschrieben. Beim Turmbau zu Babel haben wir gesehen, wie die Hybris der Menschen in Trennung und Verwirrung mündet. Der Turm, der bis in den Himmel reichen sollte, führte zum Bruch mit Gott und zum Gegeneinander der Menschen und Völker. Das Band, das die Menschen mit Gott und miteinander verbunden hatte, war zerrissen. An Pfingsten hat Gott durch seinen Heiligen Geist ein neues Band geknüpft. Es ist ein Himmelsband, weil Gott durch seinen Geist uns so nah gekommen ist und bis zum heutigen Tag kommt, wie es näher nicht geht. Er erfüllt uns mit seiner Gegenwart.

Zum anderen will dieses Himmelsband zugleich auch ein neues Band knüpfen zwischen den Menschen. Aus dem Gegeneinander der alten Zeit soll ein Miteinander der neuen Zeit werden. Wo Menschen vom Geist Gottes erfüllt werden, da geschieht Heilung und Versöhnung. Da wird eine neue Muttersprache gelernt und gesprochen. Es ist die Sprache der Liebe, die ausgegossen ist in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.

Wir haben am Eingang so ein wunderschönes himmelblaues Band bekommen. Dieses Band steht symbolisch für diese wunderbare Verbindung, die Gott durch seinen Geist mit uns knüpft. Ein Himmelsband. Es will zugleich aber auch ein Band der Liebe zwischen Menschen sein. Durch die Pandemie sind manche Verbindungen eingeschlafen oder unterbrochen worden oder gar zerbrochen. Wir wollen euch einladen, an so eine unterbrochene Verbindung durch dieses Band wieder anzuknüpfen.

Die Idee stammt von der evangelischen Kirchengemeinde in Schwalbach. Sie hat im Frühjahr auch solche Bändchen verteilt und eingeladen, mit diesem Band auf einen Menschen zuzugehen, zu dem man gerne mal wieder Kontakt knüpfen möchte. Man besucht diesen Menschen, und dann teilt man dieses Bändchen einfach in zwei Hälften, den einen Teil behält man selbst, die andere Hälfte bekommt der oder die Besuchte. Die Schwalbacher habe dann das Bändchen in der Regel draußen im Garten oder auf dem Balkon angebunden, so dass es sichtbar beide an diese neu geknüpfte Beziehung erinnerte.

Habt ihr Lust, euch auch mit diesem Bändchen aufzumachen und einen besonderen Kontakt wieder neu zu knüpfen? Vielleicht zu jemanden aus der Gemeinde, den ihr in dieser ganzen Pandemiezeit aus den Augen verloren hat. Lasst euch von Gott einfach einen Menschen zeigen, mit dem ihr dieses Himmelsband teilen wollt. Schließt am Ende der Predigt die Augen und vielleicht wird Gott euch zeigen, zu wem er euch hinführen möchte. Lasst uns einen Moment in die Stille gehen.... STILLE
Amen

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