Text der Predigt am 14. März 2021

Predigt zu Johannes 12, 24

"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht."

Dieses Bibelwort nimmt uns vom Zusammenhang her in die letzte Lebensphase Jesu hinein. Jesus hatte sich bewusst dazu entschieden, den Weg nach Jerusalem zu gehen und ihm war bewusst, was ihn dort erwarten würde. Jesus wusste, dass seine Botschaft dort auf heftigen Widerstand stoßen würde und er sah den Leidensweg auf sich zukommen, der schließlich am Kreuz enden würde. Kurz vor unserem Bibelvers wurde Jesus zwar noch in Jerusalem auf einem Esel reitend mit einem jubelnden Hosianna empfangen. Aber dieses Hosianna würde bald in ein "Kreuziget ihn" umschlagen.

Ich frage mich immer wieder: Was hat das wohl für Jesus bedeutet, dass er diesen Leidensweg einerseits so klar vor sich gesehen hat und ihn andrerseits trotzdem so entschieden gegangen ist?
Jesus war ja wahrer Mensch gewesen, wie wir Christen glauben, und darum bin ich überzeugt, dass ihn in Bezug auf diesen bevorstehenden Weg auch ganz menschliche Gedanken und Ängste umgetrieben haben. Er wird sich in manchen schlaflosen Nächten gefragt haben, ob es nicht einen anderen Weg geben könnte. Eine Alternative zum Kampf und zum Leiden. Und vielleicht wird ihm auch diese Frage gekommen sein: Soll ich mich nicht besser schnellstmöglich wieder in meine Heimat zurückziehen und dieses gefährliche Pflaster Jerusalem verlassen? Ist es nicht besser, in meiner schönen Heimat Galiläa wieder ein ganz einfaches und bescheidenes Leben zu führen? Ich glaube, Jesus träumte bestimmt manchmal von so einem normalen Leben, wie es vielen von uns geschenkt ist. Eine liebe Frau finden, eine Familie gründen, Kinder großziehen, Enkel bekommen und irgendwann als ergrautes Großväterchen im Kreise der Lieben die Augen schließen... Jesus war ein 33 Jahre alter, normaler Mann - warum sollten nicht solche Wünsche auch in einem Teil seines Herzens gesteckt haben?

Aber so sehr er sich wohl in manchen Momenten nach so einem normalen und beschaulichen Leben gesehnt hat - er spürte dennoch tief in sich drin, dass das nicht sein Weg und seine Bestimmung ist. Und er wird wohl nach solchen Fluchtgedanken seinem Herzen immer wieder einen Stoß gegeben haben, um seiner Bestimmung treu zu bleiben und den eingeschlagenen Weg weiterzugehen - mitten in die Gefahr und in die Auseinandersetzung hinein.

Was half Jesus, in der Spur zu bleiben? Was half ihm, immer wieder sein Ja zu finden zu dieser Bestimmung, sein Leben für andere hinzugeben?
Ich glaube, unser Predigtvers gibt uns ein wenig Antwort darauf. Jesus vergleicht dort sein Leben mit der Existenz eines Weizenkorns. Ein Weizenkorn, das nicht zu Mehl und schließlich Brot verarbeitet wird, sondern das dazu auserwählt worden ist, ein Saatkorn für die neue Ernte zu sein. Ein Saatkorn, das darum wieder in die dunkle Erde gelegt wird und dort gewissermaßen verschwindet und stirbt. Doch durch dieses Sterben entsteht dann wieder neues Leben. Zuerst der Keimling und dann zigfältige Frucht.

So deutete Jesus seine Existenz. Ich bin wie so eine Samenkorn, das durch die Hingabe seines Lebens die Vorrausetzung dafür schafft, dass neue Frucht entstehen kann.
Jesus sah also durch dieses Bild weiter: Er sah nicht nur sein Leiden und Sterben und das Aus vor sich, sondern er sah, dass durch seine Hingabe etwas ganz Neues in dieser Welt entstehen wird. Er sah die Frucht, die daraus erwachsen würde, dass er sein Leben opfert.

Was ist das für eine Frucht? - frage ich mich an dieser Stelle. Ich denke, es ist nicht irgendeine Frucht, sondern es sind vor allem WIR. Ja, denn Jesu Tod am Kreuz hat allen Menschen, auch uns, das Tor dafür geöffnet, dass wir Frieden mit Gott und mit uns selbst finden können. Sein Festhalten an der Liebe - trotz aller Leiden und Schmerzen; sein Wort am Kreuz: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun; all das galt letztendlich auch uns, die wir heute hier sind.

Was hat Jesus die Kraft gegeben, an seiner Bestimmung festzuhalten und immer wieder sein Ja zu finden zu diesem Weg, der schließlich am Kreuz endete? Ich persönlich glaube, dass auch ich ein Teil seiner Motivation war, diesen Weg zu gehen. Ich glaube, Jesus hat auf diesem schweren Weg nach Golgatha auch mich und mein Leben schon vor sich gesehen. Und er wusste, wie unendlich wichtig es sein würde, für diesen Clemens seine Bestimmung durchzuhalten. Ich und Du, wir alle waren es letztlich Jesus wert, dem Weg des Leidens nicht auszuweichen. Was für ein Geschenk!

Jesus verstand sein Leben als eine Weizenkornexistenz. Er war bereit, sich selbst auf´s Spiel zu setzen und sein Leben hinzugeben, um der Welt Frieden und Erlösung zu schenken. Im Bibeltext aus dem Philipperbrief, den wir eben hörten, wurden wir herausgefordert, uns diese Lebensausrichtung Jesu zum Vorbild zu nehmen. Was könnte das für uns bedeuten? Darüber möchte ich im zweiten Teil meiner Predigt sprechen.

Ich weiß nicht, wer von uns den Film "Die letzte Stufe" kennt. Ein Film über das Leben von Dietrich Bonhoeffer. Der Regisseur Eric Till arbeitet in dieser Verfilmung für mich besonders gut heraus, wie Bonhoeffer eigentlich immer wieder die Chance hatte, ein Leben in Sicherheit und persönlichem Glück zu führen. Er hätte z.B. schon als junger Theologe eine Professur in der USA annehmen können. Und er tat es auch. Aber er begriff in der USA relativ schnell, dass er nach Deutschland zurückkehren muss. "Meine Geschwister dort brauchen mich" sagte er, und darum kehrte er zurück. Und ähnlich war es auch auf jedem weiteren Schritt in den Widerstand hinein. Immer wieder lockte Bonhoeffer diese Versuchung, den leichteren Weg zu wählen - die Augen zu verschließen vor dem drohenden Unheil, den Mund zu halten gegenüber dem Unrecht, sich aus Furcht in die Passivität zurückzuziehen. Doch immer neu entschied er sich dafür, kein Mitläufer zu werden, das Risiko in Kauf zu nehmen und z.b. Juden über die Grenze zu schmuggeln. Und das kostete ihn schließlich das Leben. Auch Bonhoeffer führte gewissermaßen so eine Weizenkorn-Existenz. Er verzichtete bewusst auf ein nettes, beschauliches persönliches Leben, um diesen Weg in der Nachfolge Jesu konsequent zu gehen.

Und hier möchte ich jetzt die Frage an uns alle stellen: Sind wir vielleicht auch von Gott herausgefordert, so eine Weizenkorn-Existenz zu wagen? Es ist ja eine Sache, sich in der Passionszeit theoretisch bewusst zu machen, was Jesus für andere und auch für uns getan hat. Aber es ist eine andere Sache, sich dann auch ernsthaft zu fragen, inwiefern wir ihm auf diesem Weg nachfolgen sollen und können? Sind wir bereit, in seiner Nachfolge auch so eine Weizenkorn-Existenz zu wagen? Unser Leben hinzugeben für andere. Das heißt, Gott sei Dank, für uns fast nie, dass wir tatsächlich für jemand anderen sterben müssen. Aber es könnte sein, dass wir auch den einen oder anderen symbolischen Tod auf uns nehmen müssen, um für andere wirklich da zu sein zu können.

Es gibt viele Beispiel von Menschen, die so eine Weizenkorn-Existenz wagen. Oft schauen wir dabei auf solche große Gestalten wie Dietrich Bonhoeffer oder Mutter Theresa oder Martin Luther King, aber da gibt auch die vielen Ottonormal-Heiligen, die es genauso wagen, ihr Leben und ihre persönlichen Wünsche hinten an zu stellen, um für andere da zu sein. Weizenkörner im Reich Gottes.

Da sehe ich z.B. die vielen Menschen, die nächste Angehörige pflegen. Die Frau, deren Ehepartner krank wird, Schlaganfall oder Alzheimer und die sich fast selbst aufgibt, um ihren Partner zu begleiten und zu pflegen. Kinder, die ihre Eltern pflegen; Eltern, die ihre betreuungsbedürftigen Kinder begleiten.

Oder ich sehe da die vielen Menschen, die einen großen Teil ihrer Freizeit an einen sozialen Dienst verschenken. Hospizgruppe, Feuerwehr, Flüchtlingshilfe, Umweltschutz, Nachbarschaftshilfe... So viele Menschen leben in diesen gesellschaftlichen Feldern auch solch eine Weizenkorn-Existenz. Es geht ihnen dort nicht zuerst darum, dass sie auf ihre Kosten kommen, sondern das andere durch ihre Hilfe besser leben können. Das ist echte Nachfolge Jesu.

Ich sehe gerade auch heute die vielen Menschen vor mir, die sich in der Politik engagieren. Ja, es mag sein, dass es einige nur tun aus Großmannssucht und Eitelkeit, aber den meisten geht es um etwas anderes. Es geht ihnen darum, für ein gutes gesellschaftliches Zusammenleben zu sorgen, sich für hohe Ideale einzusetzen, und etliche tun es auch, um ihr Christsein bewusst einzubringen. Die meisten tun das ehrenamtlich in den Kommunen und in der Lokalpolitik, und es ist ein echter Dienst an ihren Mitmenschen. Weizenkornexistenz.

Oder ich denke an so viele Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Erzieherinnen, die ihre Arbeit als eine Passion leben. Deren Leidenschaft es ist, die Kinder und Jugendliche, die ihnen anvertraut sind, auf einen guten Lebensweg zu führen. Und solch eine Arbeit endet eben oft nicht nach 40Stunden Arbeitszeit.

Genauso wie der Krankenpfleger oder die Ärztin, die noch einmal persönlich nach dem Patienten schaut, um die sie sich gerade solche Sorgen macht.

Oder ich denke an all die Menschen, die ihren Ruhestand bewusst nicht auf Mallorca verbringen, sondern in diesem letzten Lebensabschnitt bewusst noch einmal ihre Lebenszeit nutzen, um etwas für andere zu tun. Für die Kirchengemeinde, für ein Hilfsprojekt, oder einfach für die einsame Frau in der Nachbarschaft.

Auch unter Jugendlichen gibt es solche und solche. Die einen kreisen ziemlich selbstverloren um sich selbst, die anderen entfalten ihre Begabungen für eine größere Sache, setzen sich z.B. für die Umwelt und die Zukunft unseres Planeten ein. Super!

Jesus sagt: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, so bringt es viel Frucht."

Wo bist du herausgefordert, solch eine Weizenkornexistenz zu wagen? Wo will Jesus dich vielleicht in eine bestimmte Aufgabe hineinrufen, wo es für dich dran ist, Selbsthingabe zu lernen und zu leben? Wo haben wir es andrerseits vielleicht schon längst gewagt, diesen Weg zu gehen, stehen aber momentan in der Versuchung, uns wieder zurück zu ziehen und aufzugeben? Enttäuscht und entmutigt. Wo brauchen wir neue Kraft, neue Hoffnung, neue Liebe für diesen Weg?

In der Stille können wir das nun ganz ehrlich vor Gott bedenken. Ihm unsere Fragen und Bitten sagen, aber zugleich auch aufmerksam darauf hören, wo er uns für unser Leben etwas klar machen möchte.

STILLE

 


GEBET
Herr Jesus, danke, dass du deiner Bestimmung nicht ausgewichen bist. Danke, dass du immer wieder dein Ja durchbuchstabiert hast zu diesem Weg, der so hart und schmerzhaft für dich gewesen ist. Du hast das für uns getan. Du hast dein Leben dahingegeben, damit wir Frieden und ewiges Leben haben.
Du kennst das Leben von jedem von uns. Du wünschst dir, dass wir dir nachfolgen. Wir wollen herausfinden, was das konkret für uns bedeutet. Lass uns erkennen, was für uns dran ist. Gib uns den Mut, dann wirklich auch den Schritt zu gehen, der den Unterschied macht.
Du siehst die, die entmutigt und enttäuscht sind. Locke sie wieder neu auf den Weg der Liebe und gibt ihnen die Kraft und die Freude dazu.
Wir danken dir für die vielen Menschen, die in so unterschiedlichen Formen eine Art Weizenkornexistenz leben. In unserer Gesellschaft, in Vereinen und Hilfsorganisationen, im öffentlichen Leben, aber auch privat zuhause oder in der Nachbarschaft, in deiner Kirche, auch bei uns, und in den weltweiten Zusammenhängen, in den NGOs und Hilfswerken und in der Mission. Wir beten besonders für die Brüder und Schwestern in aller Welt, die für ihr Bekenntnis zu dir so viel auf sich nehmen müssen. Hab Dank, dass wir in unserem Land so frei unseren Glauben leben und bekennen dürfen.
Segne die Wahlen an diesem Tag. Segne die, die gewählt werden und hilf ihnen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

VATERUNSER

Amen

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