Fahrt nach Serbien im August 2014 - Bericht

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Eingangstor der EMC KisacAm 13. August ist es soweit. Wir starten. 3500 Kilometer Fahrtstrecke werden wir insgesamt zurücklegen. Lydia, Egbert, Marlies und ich sind mit einem geliehenen VW-Bus auf dem Weg nach Mössingen bei Stuttgart. Dort warten die anderen drei Mitfahrer auf uns: Maria aus Konstanz sowie Margret und Robert.

Pastor i. R. Robert Gaubatz ist Initiator und Motor dieser jährlich stattfindenden Serbien-Fahrten zur Unterstützung der dortigen EMK-Gemeinden. Auf teilweise abenteuerliche Weise schafft er Materialien aller Art über die Grenzen, u. a. elektronische Orgeln, Bügeleisen, Blechblasinstrumente. Altes zweisprachiges GemeindeschildDer Erlös von ideenreichen Flohmarktständen und Spenden verschiedener deutscher Gemeinden helfen serbischen Gemeinden, eigene Kirchenräume zu erbauen und zu erhalten. Die behelfsmäßig benutzten Wohnzimmer sind dafür inzwischen viel zu klein geworden. Auch diesmal haben wir die Freiräume des VW-Busses mit Textilien aller Art zugestopft. Schwerpunkte unserer Reise sollen diesmal zum einen zwei "Kulturtage" mit Besichtigungen und zum anderen Begegnung mit den drei EMC-Gemeinden in Kisač, Vrbas und Jabuka sein.

In Mössingen genießen wir die Gastfreundschaft von Margret und Robert. Früh am Morgen brechen wir auf zur längsten Etappe. Knapp 1000 km liegen vor uns bis zur Zwischenstation Budapest. Ein kleines Hotel am Rande der Stadt ist gebucht, will aber erst noch gefunden werden. Frühstück in BudapestDas Navigationsgerät im Auto hat ständig minutenlange Aussetzer, so dass wir die Innenstadt etwas ausführlicher betrachten können als vorgesehen. Im ziemlich menschenleeren Vorstadtviertel fragen wir schließlich eine ältere, gebeugt gehende Frau. Sie erklärt uns überraschenderweise auf fließendem Deutsch den restlichen Weg zum Hotel.

Am anderen Tag erreichen wir am frühen Nachmittag unseren Zielort Kisač ca. 100 km nordwestlich von Belgrad. In Kisač befindet sich die Hauptgemeinde der EMC Serbiens (EMC = Evangelička metodistička Crkva) mit Sitz der Superintendentur. Unsere Gastgeberin Ana empfängt uns sehr herzlich mit einem leckeren Essen, das sie zusammen mit ihrer "Mama" zubereitet hat. Kirche in KisacAna, genauer gesagt Dr. Ana Kunčak-Palik, spricht sehr gut deutsch. Mit ihrer Doppelaufgabe als Gemeindepastorin in Kisač und Superintendentin der serbischen EMC stößt sie oftmals an ihre Belastungsgrenzen. Mit Unterstützung aus deutschen EMK-Gemeinden ist in Kisač ein schönes Kirchengebäude mit großem Gottesdienstraum gebaut worden. Das relativ neue Gästehaus nimmt unser Gepäck auf und lädt uns für ein paar Tage zum Wohlfühlen ein.

Kirche in VrbasNach dem Essen brechen wir zu einem Besuch in dem 30 km entfernten Vrbas auf. Unsere 92-jährige Mitreisende Maria stammt aus Vrbas. Die hier lebenden Deutschen waren Nachfahren der von Maria Theresia im 18. Jahrhundert angesiedelten sog. "Donauschwaben". Nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg waren die Deutschen zu Erzfeinden geworden. So konnte auch Maria mit Mutter und Schwester gegen Kriegsende ihr Heil nur in der Flucht aus der Heimat suchen. Sie landete in Konstanz am Bodensee, wo die drei Frauen eine Methodistengemeinde gründeten und durch viel Mut und Erfindungsgeist aus dem Nichts die finanziellen Mittel für ein Gemeindehaus zusammen brachten. Mit leuchtenden Augen erzählt sie die Geschichte, als die drei Frauen auf einer Bischofskonferenz kurz nach dem Krieg dem Bischof mitgeteilt haben, sie bräuchten in Konstanz ein Gotteshaus. Auf die Frage, ob sie Geld hätten, haben sie geantwortet: "Nein, aber wir haben den festen Glauben!" Darauf hat der Bischof mit beiden Handkanten bekräftigend auf den Tisch geschlagen und erwidert: "Das genügt!" Damit war das Gespräch beendet. - Die EMK-Gemeinde in Konstanz ist inzwischen zu einer großen Gemeinde angewachsen. Pastor Vladimir Fazekas mit seiner MutterIhre Energie und Kreativität hat sich Maria bis ins hohe Alter bewahren können, so dass sie mit Verkäufen auf Flohmärkten und anderen Aktionen den Kauf eines VW-Busses für die Gemeinde in Kisač ermöglicht hat.

In Vrbas heißt uns der junge Pastor mit seiner (Groß-)Familie herzlich willkommen. Er - wie auch Ana und die Pastorin Lila in Jabuka - spricht fließend deutsch. Mit seinem jüngeren Bruder kann ich mich auf Englisch verständigen. Die große Kirche wird geschmückt von vier bunten Glasfenstern, die die vier Evangelien symbolisieren. Robert hat sie im Laufe von eineinhalb Jahren entworfen und eigenhändig geschaffen. Theologisches Wissen, handwerkliche Begabung und künstlerische Kreativität fließen hier zu einem seiner schönsten Hobbies zusammen. Auch in Deutschland zieren seine Glasfenster so manchen Gottesdienstraum. Kirchenraum in Vrbas mit GlasfensternWir singen zusammen "Großer Gott, wir loben dich" - ein jeder in seiner Sprache, und Robert gibt von der Empore noch ein Trompetensolo auf einem seiner mitgebrachten Instrumente zum Besten. Ein Stadtbummel in Vrbas rundet den Nachmittagsausflug ab. Die einst prächtige evangelische Kirche steht leer und zerfällt immer mehr zur Ruine. Robert führt uns auch zur "ewigen Baustelle": der Neubau einer großen orthodoxen Kirche stagniert seit Jahren wegen fehlender finanzieller Mittel.

Frühstück in KisacSamstag. Das nebenstehende Foto zeigt unsere Reisegruppe beim Frühstück (links hinten Superintendentin Ana). Ana sorgt für unser leibliches und Robert mit einer Morgenandacht für unser geistliches Wohl. Heute sind wir den ganzen Tag unterwegs. Mit Novi Sad, der zweitgrößten Stadt nach Belgrad, und Karlovci, ehemals Karlowitz, stehen zwei historisch bedeutende Städte auf dem Programm, die mit vielen prächtigen Gebäuden an den alten Glanz der Habsburger Donaumonarchie erinnern. Gemälde in der orthodoxen Kirche in KarlowitzIn der sehenswerten orthodoxen Kirche in Karlowitz stoße ich auf die naive Gottesvorstellung der damaligen Zeit: Gott-Vater, Sohn und Heiliger Geist (als Taube) auf einer Wolke, Gott-Vater mit langem weißen Bart und Erdkugel. Die alttestamentliche Anweisung "Du sollst dir kein Bildnis machen" wurde hier wie so oft völlig ignoriert.

Besonders beeindruckend ist in Novi Sad die Festung Petrovaradin (früher Peterwardein) am südlichen Ufer der Donau. Sie war im 17. Jahrhundert die größte Festung Europas mit einem einzigartigen System aus unterirdischen Gängen von insgesamt 15 km Länge. Unter strategischer Ausnutzung dieser Anlage konnte Prinz Eugen von Savoyen im Jahre 1716 in der Schlacht von Peterwardein mit 80000 Kaiserlichen das fast doppelt so große osmanische Heer vernichtend schlagen und damit die 400 Jahre dauernde Vorherrschaft des osmanischen Reichs auf dem Balkan endgültig beenden.

Festung PetrovaradinIm Stadtbild von Novi Sad finden wir im Innenstadtkern herausgeputzte Prachtbauten und Nobel-Geschäfte, ein paar Straßenzüge weiter jedoch schon Läden mit armseligen Fassaden und zerfallende Mauern. Den Abend beschließen wir in einem Restaurant hoch oben auf der Festung. Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die Donau und die sich am gegenüberliegenden Ufer ausbreitende Stadt.Blick von der Festung auf die Stadt Novi Sad

Sonntag. Tag der Begegnung mit den Gemeinden in Kisač und Jabuka. Vormittags Gottesdienst in Jabuka, nachmittags in Kisač. Robert leitet beide Gottesdienste, die beiden Pastorinnen Ana bzw. Lila übersetzen für die Einheimischen. Brot und Schinken werden ausgeteiltSein Thema: Speisung der Fünftausend nach Johannes 6, 5 - 13. Sein Motto: Damit der Gottesdienst unvergesslich bleibt, müssen die Menschen nicht nur hören, sondern auch (be)greifen, schmecken und riechen. So verteilt er in beiden Gottesdiensten leckeres Weißbrot vom örtlichen Bäcker und mitgebrachten Schwarzwälder Schinken. Die Predigt wird auf diese Weise sehr schmackhaft und hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.

Beim MittagessenDie Menschen in Jabuka haben bei mir einen besonders tiefen Eindruck hinterlassen: Menschen, die etwas Liebenswertes, Bescheidenes und Fröhliches ausstrahlen! Dabei haben sie es in den vergangenen Jahren nicht gerade leicht gehabt in ihrem Dorf. Die EMC-Gemeinde in Jabuka ist eine Roma-Gemeinde - Roma, die zum Glauben gekommen und sesshaft geworden sind. Die überwiegend mazedonische und serbische Bevölkerung des Dorfes ist ihr zunächst feindlich gesinnt. Noch im Jahr 2011 werden Fensterscheiben eingeworfen, der mit deutschen Geldern angelegte große Obst- und Gemüsegarten am Rande des Dorfes wird beraubt und teilweise zerstört, die Bewässerungsleitungen entwendet. Die örtlichen Beamten tun nichts dagegen.Posaunenchor der Gemeinde in Jabuka Die Pastorin muss wegen Androhung von Gewalt Polizeischutz beantragen, der Garten muss umzäunt und Tag und Nacht bewacht werden. Erst in letzter Zeit wandelt sich das Vorurteil der Dorfbewohner, dass Roma nur faul sind und stehlen. Als sie langsam merken, dass diese genauso fleißig in Feld und Garten arbeiten, wird die Akzeptanz höher, und es kommt immer häufiger vor, dass der Posaunenchor der Gemeinde zu Beerdigungen und Hochzeiten angefordert wird.

Kinderchor von JabukaDie Begleitung der Gemeindelieder und des Jugendchores in Jabuka übernimmt eine kleine Gruppe bestehend aus Gitarre, Akkordeon, E-Piano und Cajon. Das Akkordeon füllt auf angenehme Weise mit vollem Klang den ganzen Raum. Als ich schon denke, der Gottesdienst sei zu Ende, strömt plötzlich eine Gruppe von 20 Kindern in den Altarraum und singt mit rhythmischen Bewegungen weitere Lieder. Ein Teil dieser Kinder stammt von Eltern aus dem Dorf, die nicht in die EMC-Gemeinde gehen. Die Kinder kommen trotzdem jeden Sonntag gerne und man spürt, dass sie sich hier wohl fühlen!

Der Rückweg nach Kisač führt uns über den Ort Knićanin, dem früheren Rudolfsgnad, ein Dorf der Donauschwaben. Hierhin wurde Robert gegen Kriegsende im Alter von 9 Jahren von der jugoslawischen Befreiungsarmee verschleppt. Der Ort wurde hermetisch abgeriegelt und diente als Konzentrationslager für Deutsche aus den umliegenden Dörfern, die nicht geflohen waren (Frauen, Kinder und ältere Menschen). Erst vier Jahre später (1948) wurde das Lager auf internationalen Druck hin aufgelöst. Tausende - an Hunger, Krankheit und Seuchen gestorben - waren in Massengräbern auf den naheliegenden Feldern verscharrt worden. Robert, seine Mutter und die zwei Brüder konnten überleben.

Gedenkstätte bei Knićanin, ehemals RudolfsgnadWir legen an den 1998 von der "Gesellschaft für serbisch-deutsche Zusammenarbeit" errichteten Gedenktafeln Blumen nieder. Wenn Robert davon erzählt, frage ich mich, ob es jemals aufhören wird, dass Menschen anderen Menschen so etwas antun. Viele Zeichen der Versöhnung auf der Welt geben Hoffnung dazu - Hoffnung, dass immer mehr Menschen menschlich werden. Und ich denke, wir müssen da bei uns anfangen, ich muss bei mir anfangen. Auch in unseren methodistischen Gemeinden gibt es immer wieder Fälle von Ausgrenzung, Vorurteil und Missgunst. Hier sensibler, achtsamer und ehrlicher zu werden ist unser aller Aufgabe.

Der zweite Gottesdienst in Kisač beginnt um 18 Uhr. Dass Brot und Schinken nahezu symbolhaft nicht für alle reichen, bringt Robert nicht aus der Fassung. Maria verabschiedet sichEr kommentiert dies lächelnd mit den Worten: "Das ist eben der Unterschied zwischen mir und Jesus!" Maria nutzt die Gelegenheit, sich nach dem Gottesdienst am Ausgang von ihren vielen Bekannten und enger verbundenen Menschen zu verabschieden, denn sie rechnet damit, dass dieser Besuch in ihrer Heimat im Alter von 92 Jahren der letzte sein kann.

 

Montag. Unser letzter Tag. Heute nochmal Kultur pur. In den südlichen Taleinschnitten der Fruška Gora, einem nicht weit entfernten 80 km langen Mittelgebirgszug, liegen einige der bedeutendsten orthodoxen Klöster Europas. Sie liegen teilweise versteckt und sind nicht leicht zu finden. Auf die Frage, warum hier keine Schilder stehen, erhält Robert von einem Bauern die verblüffende Antwort: "Wir brauchen sie nicht!" In vier verschiedenen Klöstern sehen wir uns satt an den teilweise erneuerten Wandmalereien und an uralten, schon verblassten Fresken.

Kloster Hopovo

An der Straße haben Bauern Stände aufgebaut. Sie verkaufen Wein, Spirituosen aus eigener Herstellung, Obst und Gemüse. Sie sind glücklich, als ein VW-Bus hält und sieben Personen aussteigen, um ihre dargebotenen Waren zu inspizieren. Die Pfirsiche sind am Baum gereift und schmecken köstlich - so, wie Pfirsiche schmecken sollen: fruchtig, süß und saftig!Bauern verkaufen am Straßenrand Wein, Obst und Gemüse
In Kisač erwartet uns ein abendliches Abschiedsessen, denn morgen, Dienstag, ist schon wieder Abreisetag. Mir kommt es vor, als wären wir bereits zwei Wochen hier, so vielfältig sind die Eindrücke. Dabei sind es gerade mal dreieinhalb Tage!

Auf der Rückfahrt machen wir einen kleinen Umweg und setzen Maria in Konstanz am Bodensee ab. Nach zwei Übernachtungen in der Steiermark an der österreichisch-ungarischen Grenze und in Mössingen im Schwabenland kommen wir erfüllt, aber ziemlich platt wieder zu Hause an. Und das Erstaunlichste: Egbert hat die 3500 Kilometer komplett am Steuer gesessen, hat sich kein einziges Mal abwechseln lassen! Nach Befragen bekundet er, dass er eine Kraft von oben gespürt hat, die ihn nicht hat ermüden lassen.

Hermann Baum

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